Grausame Cousinen
Schiller an der Mauergedenkstätte: Exsträflinge spielen »Maria und Elisabeth«
Noch ist das Lapidarium, der geplante Steingarten, ein Refugium im großen Areal der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße. Während es überall sonst von Touristen und Schülern wimmelt, ist es im noch unsanierten hinteren Teil des Geländes, wo einst die Wendeschleife für die DDR-Streifenwagen lag, paradiesisch ruhig. Hier auf dem Rasen, zwischen Betonplatten und Mauerresten, kann man dieser Tage beeindruckendes Theater erleben: Das aufBruch-Gefängistheater zeigt »Maria und Elisabeth« mit 32 Ex-Strafgefangenen, Bürgern und Profi-Schauspielern.
Normalerweise macht das aufBruch-Projekt Theater mit Strafgefangenen, direkt in den Gefängnissen. Seit 2009 jedoch stellt man einmal im Jahr ein Theaterstück draußen auf die Beine, an einem ungewöhnlichen Ort. 2011, zum 50. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer, sollte es die Gedenkstätte Berliner Mauer sein. Der ursprünglich geplante Ort gleich neben der Kapelle der Versöhnung aber entpuppte sich wegen der vielen Trams und Autos als zu laut, und so wich Regisseur Peter Atanassow mit seinem Ensemble auf das letzte Stück noch original verbliebener DDR-Grenzanlage hinter der ehemaligen Hinterlandmauer aus, das sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. »Ein Glücksfall«, freut sich Produktionsleiterin Sibylle Arndt.
Tatsächlich ist es ein beeindruckendes Bild, wenn zu Anfang die 32 Akteure in schwarzen Anzügen, drei ganz in weiß, über die weite Rasenfläche des Geländes rennen. Unmittelbar vor den Zuschauern bleiben sie stehen und rezitieren einen Text von Einar Schleef. Immer wieder wird das sonst auf Schillers »Maria Stuart« aufbauende Stück unterbrochen durch kurze Schleef-Passagen, entnommen seinen biografischen Erzählungen »Ich habe kein Deutschland gefunden«, in dem er sich mit Erinnerungen an Ost und West auseinandersetzt, sowie durch kurze Texte von Nietzsche und Dario Fo. Gesungen wird auch, u.a. Mozarts »Dies Irae« und »Heil Dir im Siegerkranz«.
Doch sonst verfolgt die Inszenierung in starken Szenen den Kampf zwischen der protestantischen englischen Königin Elisabeth und ihrer katholischen Cousine Maria Stuart, Königin von Schottland, die 1568 nach einem Staatsstreich nach England floh. 18 Jahre saß sie dort gefangen, bis Elisabeth ihre Widersacherin 1586 wegen Staatsverrats zum Tode verurteilen ließ. Die aufBruch-Inszenierung betont die psychologischen Momente in der Beziehung zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Frauen: Hier die verführerisch schöne, zweimal verheiratete Maria, die von katholischen Gruppen zu deren Zwecken vereinnahmt werden sollte; dort die jungfräuliche, ganz aufs Regieren fixierte Elisabeth. Neid, Eifersucht, Angst prägen das Verhältnis vor allem von Elisabeths Seite aus.
Um die unterschiedlichen Aspekte ihrer Persönlichkeit zu vertiefen, lässt Regisseur Atanassow die beiden Königinnen jeweils von mehreren Darstellerinnen verkörpern. Als Elisabeth sticht besonders die herbe Performance- und Verwandlungskünstlerin Bridge Markland hervor, Beate Maria Schulz bringt das Widerstreben der Königin, den Hinrichtungsbefehl unterzeichnen zu lassen, beeindruckend auf den Punkt; als Maria Stuart zieht die wunderbar subtile Irene Oberrauch besonders in ihren Bann.
Ansonsten verlässt sich die Regie (zu Recht) auf die starken Bilder, die sich auf dem weitläufigen Rasen zwischen den Mauerresten ergeben, auf Dynamik durch den hin- und her rennenden Chor und auf einige witzige Szenen, etwa mit einem widerstrebenden Henker. Irgendwann während der Aufführung wird es dunkel, zwischen den gelagerten Betonplatten leuchten rote Friedhofskerzen – eine geeignete Atmosphäre für die bewegende Hinrichtungsszene.
7.-11.9., 19 Uhr; Gedenkstätte Berliner Mauer, Lapidarium, Bernauer Straße/Ecke Gartenstraße, Mitte; Karten unter Tel. (030) 24 06 57 77 oder vor Ort
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