Strohballen rollen durch Rixdorf
Alte landwirtschaftliche Tradition in Neukölln wird wiederbelebt
Mit dem 178. Strohballenrollen am 10. September ab 14 Uhr will die Rixdorfer Künstlerkolonie an alte landwirtschaftliche Traditionen erinnern. Es sind die vierten derartigen Wettkämpfe der »Neuzeit« rund um den Richardplatz..
Das Rollen der 200 Kilogramm schweren Strohballen erinnert an die Geschichte des kleinen Dorfes Rixdorf am Rande der großen Stadt Berlin. Im 18. Jahrhundert kamen 50 böhmische Familien nach Rixdorf. Schon damals stand die Frage der Integration auf der Tagesordnung. Am 15. Juni 1737 übernahmen die Kolonisten die ihnen zugewiesenen Höfe. Der erste böhmische Dorfschulze trat sein Amt an.
Rund 200 Jahre lang lebten die böhmischen Familien neben den Rixdorfern. Sie hatten ihren eigenen Bürgermeister, ihre eigene Kirche und ihre eigenen Schulen. Vielen Rixdorfern gefiel es jedoch nicht, dass die böhmischen Einwanderer keine Steuern zahlen mussten und auch nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden durften. So gab es kleine Provokationen, die oft in einer Rauferei endeten. Um Frieden zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu stiften, kamen die beiden Dorfschulzen Friedrich Fetzke und sein böhmischer Kollege Bohumil Pachl auf die Idee zu einem sportlichen Wettkampf.
Immer am zweiten Wochenende im September – wenn die Ernte eingefahren war – wurde der Wettstreit mit dem Titel »popráci« veranstaltet, was soviel wie »nach der Arbeit« oder »Feierabend« bedeutet. Das ging auch gut bis zum Jahr 1911. Nach 174 Rixdorfer Strohballenrollereien setzte Kaiser Wilhelm II. diesem ländlichen Treiben ein Ende. Im Januar 1911 war aus Rixdorf Neukölln geworden und das Landleben passte nicht mehr in die neue Stadt, obwohl auch aus dem Umland sich immer mehr Mutige an dem Wettkampf mit der Dorfjugend beteiligten. »In Rixdorf is Musike« hieß es bald.
Nach 97 Jahren ließ die Künstlerkolonie Rixdorf die fast vergessene Popraci-Tradition wieder aufleben. 2008 wurde das 175. Strohballenrollen veranstaltet, das nun wieder zum großen Volksfest am zweiten Septemberwochenende geworden ist. Die Künstlerkolonie lädt alle Kulturen und Generationen ein. »Wir wollen in diesem Jahr auch die anderen Dörfer von Berlin in die Wettkämpfe einbeziehen«, sagte Norbert Kleemann von der Kreativgesellschaft Berlin.
Zunächst wird Zehlendorf herausgefordert. Es gewinnt nicht unbedingt die schnellste Mannschaft. So werden die besten Kostüme bewertet, Grazie und Eleganz spielen eine Rolle genauso wie sportlicher Teamgeist. Zum Schluss gibt es noch einen Rixdorf-Quiz, bei dem Kenntnisse über die Geschichte des Dorfes gefragt sind.
Die Kreativgesellschaft möchte sich dafür engagieren, dass Rixdorf noch bekannter wird. »Wir haben viel zu bieten und wollen den Tourismus fördern«, sagte Kleemann. »Wir wollen mit historischen Stadtführungen, Kutschfahrten und vielen Veranstaltungen Verbindungen im Ortsteil knüpfen.« Auch in diesem Jahr wird das Strohballenrollen von vielen Veranstaltungen rund um den Richardplatz begleitet.
Informationen: www.popraci.de, Telefon: 53 21 74 01
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