Im Ländle soll das Volk was gelten

S 21: Im Stuttgarter Landtag ging es um Kosten, Koalition und wohl auch um mehr Demokratie

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
In Baden-Württemberg ist der Weg zu ersten Volksabstimmung in der Geschichte des Landes eingeschlagen. Mit einem lebhaften Schlagabtausch hat der Landtag das Stuttgart-21-Ausstiegsgesetz in erster Lesung beraten. In der Sitzung Ende September soll das Gesetz dann scheitern, um es voraussichtlich am 27. November dem Volk zur Abstimmung vorzulegen.

Der Baden-Württemberger in Stuttgart an sich neigt eher nicht zu überbordenden Gefühlsausbrüchen. Doch in der gestrigen Landtagssitzung ging es hoch her. Vor allem Christdemokraten, Liberale und Grüne sparten nicht mit höhnischen Zwischenrufen an die jeweils andere Fraktion. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk warf Verkehrsminister Winfried Hermann von den Bündnisgrünen vor, er verdrehe die Tatsachen über den Super-Bahnhof Stuttgart 21. Weil das Verkehrsministerium zuletzt Zahlungen an die Bahn später als verabredet überwiesen hatte, müsste laut Hauk gar geprüft werden, »ob hier die Tatsache der Untreue erfüllt ist«.

Finanzielle Kosten bleiben unkalkulierbar

Bei den Kostenrisiken blieb Hermann ganz gelassen. Er hatte das Gesetz mit seiner Ansicht nach unwägbaren Kostenrisiken begründet. In den Finanzierungsverträgen zwischen Bahn, Bund, Land, Region und Stadt Stuttgart ist geregelt, wer wie viel von dem derzeit 4,1 Milliarden Euro Gesamtkosten bezahlt.

Auf das Land entfallen dabei 824 Millionen Euro. Das wollen die Grünen nicht, deswegen nun das Gesetz. »Stuttgart 21 bringt wenig, ist unfassbar teuer und nicht durchfinanziert«, meint der im Amt noch frische Minister. Die Erfahrung aus anderen Bahnprojekten lehre, so sagte der Verkehrsexperte, dass diese sehr viel teurer als geplant würden und zwar stets in der Endphase des Baus. Dann aber müssten die Finanzierer – in der Regel Land oder Bund – weiter zahlen, um eine Bauruine zu verhindern. Auch Stuttgart 21 sei seit Beginn der Planung immer teurer geworden. Hermann: »Kostensteigerungen sind so sicher wie das Amen in der Kirche.« Das S21-Ausstiegsgesetz biete die Chance, noch gerade rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Für Kostensteigerungen geben es überhaupt keine Anzeichen, führten dagegen CDU-Anführer Hauk sowie der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke als auch Claus Schmiedel vom Koalitionspartner SPD an. Sowohl Hauk als auch Rülke warfen der grün-roten Koalition vor, sie bringe das Gesetz in den Landtag, um ihren Koalitionsfrieden wieder herzustellen aber nicht, um über Stuttgart 21 entscheiden zu lassen. Für Rülke ist das »Missbrauch des Parlaments« und eine »abgekartete Schauveranstaltung«.

CDU gegen Weg ins Verfassungsneuland

Hauk warf Hermann zudem Rechtsbruch vor, denn das Land könne rechtlich gar nicht aus den Finanzierungsverträgen aussteigen. Dem widersprach Justizminister Rainer Stickelberger von den Sozialdemokraten. Und zwar mit dem Argument, sein Ministerium habe das gründlich überprüft. Er räumte zwar ein, dass man verfassungspolitisches Neuland betrete, zeigte sich aber von der Rechtmäßigkeit des Gesetzes und des Vorgehens überzeugt.

Auf die Ankündigung Hauks, die CDU werde den Wahlkampf zur Volksabstimmung nutzen, um den »Menschen das wahre Gesicht der Grünen zu zeigen«, reagierte SPD-Chef Schmiedel mit einer Warnung. Es sei falsch, die Volksabstimmung zu einer Abstimmung über die grün-rote Regierung machen zu wollen. Vielmehr müssten die Politiker einmal zur Seite treten. Deutlich erklärte Schmiedel, dass die SPD für Stuttgart 21 sei. Schon alleine wegen der Ausstiegskosten, die allerdings nicht bekannt sind. Wenn S21 gestoppt würde, »heißt die Alternative: Es kommt lange, lange gar nichts«, so Schmiedel.

Versprechen: Grün-Rot bleiben beieinander

Dass seine Fraktion eine andere Haltung als die Grünen habe, hieße aber nicht, dass es in der Koalition krisele. Schmiedel betonte: »Rot und Grün bleiben beieinander.«

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