Paris verteidigt Suppenküchen
Widerstand gegen Kürzungen der EU-Lebensmittelhilfe / Thema soll auf Gipfel-Tagesordnung
Im Winter 1986/87 hatte der damalige französische EU-Kommissionspräsident Jacques Delors das System durchgesetzt, wonach Lebensmittelüberschüsse, die sich als »Butterberge« oder »Milchseen« anhäuften, an Hilfsvereine abgegeben wurden, die diese wiederum Bedürftigen zukommen ließen. Da seit zehn Jahren durch die Reform der EU-Agrarpolitik und ihre bessere Ausrichtung auf den wirklichen Bedarf solche Überschüsse nicht mehr anfallen, hat man die »Naturalienhilfe« durch eine Abgabe in Höhe von einem Prozent des Budgets der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ersetzt. Im Rahmen des dafür geschaffenen Europäischen Programms der Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige (PEAD) konnten pro Jahr nahezu 500 Millionen Euro an die Mitgliedsländer vergeben werden, mit denen Hilfsvereine dort Lebensmittel einkaufen konnten, um sie zu verteilen.
Dieses bewährte Prinzip wurde jetzt von einer Gruppe von sieben EU-Mitgliedsländern unter Führung Deutschlands vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten. Zu den Klägern gehörten ferner Großbritannien, Schweden, Dänemark, die Niederlande, Österreich und die Tschechische Republik. Das Gericht stimmte ihren juristischen Argumenten zu und urteilte, dass es sich bei den Zahlungen um eine »soziale Hilfe ohne Zusammenhang mit der Gemeinsamen Agrarpolitik« handele. Die EU-Kommission leitete daraufhin umgehend das Ende des Hilfsprogramms ein. Während im laufenden Jahr noch 480 Millionen Euro verteilt werden, sollen es 2012 nur noch 113 Millionen sein, ab 2013 entfallen die Zahlungen ganz.
Die Landwirtschaftsminister sollten diese Entscheidungen am vergangenen Dienstag beschließen – doch es kam zu unerwartet heftigen Auseinandersetzungen um das Vorhaben. »Die Aufgabe dieser Hilfe wäre eine Rückkehr zum Europa der Egoismen«, mahnte der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire. Unterstützt wird er von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy: »Es ist inakzeptabel, dass Europa seine ärmsten Bürger im Stich lässt«, heißt es in einem unmittelbar nach der Tagung veröffentlichten Kommuniqué des Elysée. Für Sarkozy ist das Thema so sensibel und dringend, dass er es auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels Anfang Oktober setzen will. Von den 18 Millionen Menschen, die in der EU Lebensmittelhilfe beziehen, leben vier Millionen in Frankreich. Die französischen Hilfsvereine, die bisher pro Jahr rund 78 Millionen Euro aus Brüssel bekommen haben und 2012 bestenfalls noch mit 16 Millionen rechnen können, bezeichnen die ab 2013 drohende Abschaffung als eine »humanitäre Sturmwelle«.
Durch die Krise ist die Zahl der Bedürftigen, die in Frankreich auf die Verteilung von Lebensmitteln oder kostenlosem Essen angewiesen sind, seit 2008 um jährlich 10 bis 15 Prozent gestiegen. Besonders stark wächst der Anteil alleinstehender Mütter und junger Menschen ohne Arbeit oder Anspruch auf Sozialhilfe. Die Föderation der Lebensmittelbanken, die über 79 Lager in ganz Frankreich verfügt, und das Rote Kreuz, das pro Jahr 55 Millionen Essensportionen für 500 000 Bedürftige kocht und ausgibt, würden durch den Wegfall der EU-Hilfe ein Drittel ihres Budgets verlieren, die Organisation Secours populaire sogar die Hälfte. Olivier Berthe, Präsident des Hilfsvereins Restos du Coeur, meint: »Der Wegfall der EU-Hilfe würde unsere Möglichkeiten um ein Viertel bis ein Drittel reduzieren. Das sind Zehntausende Familien, denen wir nicht mehr helfen könnten. Hinter den Zahlen stehen schließlich Menschen, die Not leiden.«
Für eine Familie mit zwei Kindern repräsentiert die Lebensmittelhilfe pro Monat einen Wert von 100 bis 120 Euro. Die Organisation sammelt und verteilt nicht nur Lebensmittel, sondern kocht auch Essen, das kostenlos ausgegeben wird. »Das wären bei uns pro Jahr 49 Millionen Essensportionen weniger, also 200 000 hungrige Menschen, die wir abweisen müssten«, rechnet Berthe vor.
Die Finanzhilfe der EU ist aber auch besonders wichtig, um bestimmte Lebensmittel wie beispielsweise Öl, Mehl, Obst oder Gemüse einkaufen und so ein ausgewogenes Angebot zusammenstellen und verteilen zu können. Denn bei den vom Handel gespendeten Nahrungsgütern am Rande des Verbrauchsdatums handelt es sich oft um ein recht einseitiges Angebot, bei dem Molkereiprodukte oder Konserven überwiegen.
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