Erkenntnisse statt Bekenntnisse

Unbestechlich und sachlich – das Russel-Tribunal

  • Wolfgang Gehrcke
  • Lesedauer: 4 Min.
Jury des Russel-Tribunals mit Stephane Hessel (3.v.r.)
Jury des Russel-Tribunals mit Stephane Hessel (3.v.r.)

Palästinas Präsident Abbas – ich kenne ihn noch unter seinem Kampfnamen Abu Masen – forderte auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen ür Palästina die Vollmitgliedschaft ein. Die internationale Aufmerksamkeit richtete sich auf diesen Antrag und die Rede des palästinensischen Präsidenten – ähnlich wie 1974 auf die Rede Arafats, die er mit dem Ölzweig in der Hand und der Pistole am Gürtel gehalten hatte. Abbas ist nicht Arafat, aber der Antrag ist von größerer Brisanz, denn er fordert eine Entscheidung.

Die deutsche Bundesregierung »eiert« zwischen Ja und Nein, als gäbe es nur die Wahl zwischen Skilla und Charybdis. »Allen Wohl und keinem weh, das ist Guido von der FDP«, so scheint das innere Motto des deutschen Außenministers zu lauten, nachdem er in der Libyen-Frage einmal Mut und nicht Eitelkeit gezeigt hatte. Den Gegenwind aus der Nato hat er nicht ausgehalten und schnell wieder Anpassung demonstriert.

Der Weg zur Lösung des Nahostkonflikts geht über den Mut zur Wahrheit. Das Russel-Tribunal bricht das Schweigen, gibt den stummen Zeugen und den Opfern des Unrechts eine Stimme. In seiner Art ist das Russel-Tribunal so etwas wie der Organisator eines kollektiven Whistle Blowing. Ein ernsthaftes Wikileaks, das Zugang zu dem, was geheim gehalten werden soll, ermöglicht. Allzu oft wurde das Russell-Tribunal schlecht kopiert durch schnelle öffentliche Anklageveranstaltungen. Nichts gegen plakative Veranstaltungen, die den Frieden befördern wollen, aber das Besondere am Russell-Tribunal ist, dass es keinen Raum für Propaganda bietet. Nur die Fakten selber sollen sprechen. Ihre Sprache ist unbestechlich.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, die Hoffnung zuletzt. Meine Hoffnung für den Nahen Osten ist lebendig geblieben. Ich habe, wenn ich nach meinen Wünschen für den Nahen Osten gefragt werde, eine einfache Antwort: Ich wünsche mir, dass meine Freunde in Israel wieder ins Café gehen können, ohne Angst vor einem Anschlag, und dass meine Freunde in Palästina sich frei im eigenen Land bewegen können, selbstverständlich und ohne Demütigungen. Das scheint nicht viel, und doch, gemessen an den heutigen Zuständen, liegen Welten zwischen der Realität und meinen Wünschen. Ich habe bislang keine Regierung erlebt, die so konsequent gegen die Interessen des eigenen Landes, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung handelt, wie die jetzige israelische Regierung. Stattdessen könnten Palästina und Israel den Grundstein für Gemeinsamkeit in dieser Region legen, wenn sich ihre Politik änderte. Es gibt keine »Erbfeindschaft«, auch nicht im Nahen Osten.

Immer wieder treffe ich Menschen, die glauben, sich zwischen Israel und Palästina entscheiden zu müssen. Ich habe das immer kritisiert. Nicht zwischen Israel und Palästina, sondern zwischen Versöhnung und Gewalt, zwischen Krieg und Frieden, zwischen Würde und Verzweiflung muss man sich entscheiden. Die israelische Staatsgründung, die für die Jüdinnen und Juden Israels Sicherheit und Glück bedeutete, brachte den anderen, den Palästinenserinnen und Palästinensern, Leid. Der Begriff »Nakba« – die Katastrophe – drückt das aus. Israel und Palästina sind heute durch das Leid verbunden.

Das Leid der Jüdinnen und Juden hat der sowjetische UN-Botschafter Andrej Gromyko am 14. Mai 1947 vor der Generalversammlung der UNO zum Ausdruck gebracht: »Im letzten Krieg war das jüdische Volk außerordentlichen Schmerzen und Leiden ausgesetzt. Ohne jede Übertreibung – dieser Schmerz und dieses Leiden sind unbeschreiblich.« Und dieses Leid endete nicht mit Krieg und Faschismus: »Große Teile der überlebenden Juden Europas waren ihrer Länder, ihrer Wohnstätten und ihrer Existenzmittel beraubt. Hunderttausende von Juden bewegen sich durch die verschiedenen europäischen Staaten auf der Suche nach Möglichkeiten der Existenz und einer sicheren Unterkunft – und sind wieder großer Not ausgesetzt.«

Der Teilungsplan der UNO ist bis jetzt unvollendet. Ein Staat ist entstanden: Israel. Die Hoffnung der Palästinenser auf einen Staat ist bis heute unerfüllt. Die Besatzung, die Entwürdigung, das Gefühl, alleine gelassen zu werden, ist Quell vieler Konflikte. Wer Sicherheit will, muss Gerechtigkeit geben. Das Recht des Stärkeren ist auf Dauer nicht stabil. Es muss ersetzt werden durch die Stärke des Rechts. Dafür bilden die Dokumente des Russell-Tribunals eine feste Grundlage.

Aus dem Vorwort des Bundestagsabgeordneten der LINKEN zu dem im Oktober im Laika-Verlag erscheinenden Buch »Russel Tribunal zu Palästina«, hrsg. von Asa Winstanley und Frank Barat.

Das erste Russell-Tribunal, das »Vietnam War Crimes Tribunal«, wurde 1966 vom britischen Mathematiker, Philosophen und Literaturnobelpreisträger Lord Bertrand Russell als Anklage des Vietnamkrieges der USA ins Leben gerufen; es folgten weitere Russel-Tribunale, u. a.:

1973 bis 1976 über Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika und Südafrika,
1977 bis 1979 zum »Radikalenerlass« in der Bundesrepublik,
1980 zur Verfolgung der Indianer in Amerika,
2005 zur Invasion der USA und Alliierten im Irak und
2009 zur Lage der Menschenrechte in den besetzten Gebieten von Palästina.

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