Viagra, Panzer, Wohlstandsbauch

Wie lässt sich der Boom großer Geländewagen in unseren Städten erklären?

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie schaden dem Klima. Sie schlucken hektoliterweise Sprit. Sie sind meist tödlich für Unfallgegner – und voll im Trend: Sport Utility Vehicles (SUVs). Doch die Panzer auf vier Rädern sind nicht »Viagra in Chrom« (Sigmar Gabriel), sondern der Wohlstandsbauch unserer Tage.
Hans-Olaf Henkel bittet die Reporter in seine Wohnung in Berlin-Mitte, deutet auf das riesige Gemälde im Flur und sagt: »Hier oben habe ich ein Portrait von Fidel Castro und meiner Frau«. Doch das Bildnis ist noch nicht jener Henkelsche »Favorit«, den das Team abzufilmen trachtet. Nein, sein »mit Abstand liebstes Stück« sei eine abgewetzte braune Cordjacke, bekennt der Lautsprecher des Kapitals. Der ehemalige BDI-Präsident beweist damit ein fast schon feines hanseatisches Understatement.

Eine Tugend, die leider nicht jedem Gutverdiener zu eigen ist. Das beweist allein schon jene »SUV-Welle«, die laut »Capital« nicht zu stoppen ist. Trotz zunehmender Rezessionsängste gewinnen in der Autobranche nicht Kleinwagen an Bedeutung, sondern die großen Schlachtschiffe: »Weltweit gibt es derzeit kein anderes Segment, das derart nachhaltig wächst. Doch eigentlich kann man schon längst von keinem Trend mehr sprechen – zu viele Jahre drücken die zunehmend urbaner werdenden Geländewagen der Automobilindustrie ihren Stempel auf.« Kaum ein Autohersteller könne es sich noch erlauben, auf diese Fahrzeugklasse zu verzichten, resümiert das Wirtschaftsmagazin. »Die Verkäufe laufen bestens – die Wartezeiten sind gigantisch.«

Die Analyse des Blatts deckt sich mit der Alltagserfahrung: Immer mehr von den riesigen Karren rasen, nein: nicht durch Wüsten, Wald und Wildnis, sondern auf den gut geteerten Straßen zwischen Garmisch-Partenkirchen und Soltau-Fallingbostel. Derweil »Capital« nicht einmal bemerkt, dass urbaner Geländewagen ein Widerspruch in sich ist.

Sigmar Gabriel pflegt Sport Utility Vehicles (so die Langform von SUV!) launig als »Viagra in Chrom« zu verspotten. Und er ist sich der Schenkelklopfer sicher. Das belegt indes nur eines: Als Zotenerzähler ist der SPD-Boss talentierter denn als Politikmanager. Doch sein Scherz weist inhaltlich ins Leere: Solvente Herren, deren Sexualleben altersbedingt an Wildheit verliert, werden zur Kompensation weiterhin eher auf den Porsche 911 setzen. Der ist nicht nur schneller und windschnittiger und von hübscherem Design als die meist recht plumpen SUVs. Nein, das beste Stück des post-juvenilen Mannes ist zuletzt auch um sage und schreibe 5,6 Zentimeter verlängert worden. Size matters – offenbar auch beim 911.

Wenn die SUVs primär kein Penisersatz sind – was dann? In ihrem unlängst von mir gelobten Buch »Gleichheit ist Glück« interpretieren Richard Wilkinson und Kate Pickett SUVs als Panzer auf vier Rädern. Also gleichsam als Schwert und Schild gegen die Gefahren und Ängste, die eine auf krasser Ungleichheit basierende Gesellschaft gerade jenen zumutet, auf deren Hintern die kapitalistische Sonne allzu warm scheint.

Die Panzer-These wird bestärkt durch eine Beobachtung: Neue Automodelle (nicht nur SUVs) weisen wieder vermehrt Vorderlichter auf, die an die Augen wilder Tiere erinnern. Der böse Blick, er kehrt zurück: Aus dem Weg, Oma, jetzt komme ich, uarrrghhh!

Und doch verkünden Wilkinson / Picket allenfalls die halbe Wahrheit. Ich behaupte: Die Protzmobile sind vor allem den bundesrepublikanischen Wohlstandsbäuchen der 1950er-Jahre vergleichbar.

Damals galt ein ordentliches Fettpolster als Ausweis von Reichtum. Seht her, während Euer Küchenemeister Hans Schmal heißt, kann ich mir den Magen vollschlagen! Mehr oder minder elegant umschifften die bereits früh Wohlbeleibten die sogenannte »Fettlücke« – den Mangel an Kalorienreichem also. Und erhoben sich so über das gemeine Volk.

Heute zeigt der SUV-Fahrer: Steigende Benzinpreise mögen Euch Normalsterbliche, müssen aber mich nicht interessieren. In gewisser Hinsicht ähnelt der SUV-Boom also der »Fresswelle« der Wirtschaftswunderjahre, die Bauchfett zum Massenphänomen machen sollte. Das Problem: Die SUV-Fans rasen erst noch in die »Spritlücke«.

Doch Peak Oil interessiert den gemeinen Großwagenfahrer genau so wenig wie die drohende Klimakatastrophe. Er schert sich ja nicht einmal um steigende Unfallrisiken, die seine zweifelhafte Leidenschaft generiert. Schließlich verrecken ja die anderen: »SUVs sind gefährliche Unfallgegner«, resümiert »Spiegel Online« in diesen Tagen. »Es ist, als würde ein schmächtiger 15-Jähriger gegen einen Sumo-Ringer antreten – im Ernstfall hat ein Kleinwagen gegen einen SUV keine Chance.« Von Radfahrern oder gar Seniorinnen ganz zu schweigen.

Glücklich macht der Trend vor allem die Tankwarte am Wegesrand: Bis zu 6,7 Liter schluckt der Branchenprimus Porsche Cayenne. Allerdings nicht auf 100, sondern auf 10 Kilometern. Das gilt auch für jenen Cayenne, den ich neulich überholte. Im Vorbeiradeln las ich den Aufkleber auf dem Heck des schwarzen Schlittens: »Mitleid kriegst Du geschenkt, Neid musst Du Dir erarbeiten!«

Ich trat in die Pedale – und ärgerte mich. Und zwar über meinen fehlenden Rückspiegel.

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