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Lesen? Nein!

Standpunkt von Hans-Dieter Schütt

  • Lesedauer: 2 Min.

Am Anfang war das doch so: Weil die Menschen nicht schreiben und nicht lesen konnten, mussten sie ins Erzählen kommen. Die Literatur begann mit der Konzentrationsfähigkeit, der listigen Auffassungs- und Erfindungsgabe, dem feinen Ohr und dem guten Gedächtnis von Analphabeten. Mythos und Kinderreim, Märchen und Lied, Gebet und Rätsel - alles älter als die Schrift. Zur heute beginnenden Frankfurter Buchmesse kurz und bündig: Es muss ein neuer Analphabetismus her!

Also: Schauen wir künftig nur noch ungläubig, grundsätzlich verständnislos auf das Schrifttum der Tonangeber. Wenden wir uns von nun an ab von dem, was bloß immer auf dem Papier steht. Ja, es ist zu geduldig. Machen wir Schluss mit dem Zustand, immer nur buchstabengetreu zu sein. Blicken wir auf Börsenberichte so, als seien wir stolz darauf, nicht bis drei zählen zu können. Schauen wir bei Parteiprogrammen nur noch zwischen die Zeilen. Weigern wir uns, in sogenannten heiligen Schriften die Zukunft zu lesen - lesen wir einander die Wahrheit von den angstvollen oder zornweiten oder staunensgroßen Augen ab. Lassen wir Mahnschreiben ungeöffnet wie das Buch mit den sieben Siegeln. Verlachen wir die Warnung, wir sollten uns dies und das hinter die Ohren schreiben. Bleiben wir denen, die uns kalt ins Visier nehmen, unleserlich.

Literatur begann mit Mundpropaganda. Die uns das Heft des Handelns aus den Händen nehmen und das Demokratie nennen - denen werden wir was erzählen! Lesen? Ja doch, wie es im Buche steht: die Leviten.

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