Polizei und Armee sind Teil des Problems
Heike Hänsel über die Klage gegen den mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón und die Menschenrechtslage
ND: Eine Gruppe von Anwälten, Professoren und Journalisten hat vor wenigen Tagen beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage gegen den amtierenden Präsidenten Mexikos, Felipe Calderón, eingereicht, weil sie ihn für Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge des von ihm ausgerufenen »Krieges gegen die Drogen« verantwortlich machen. Ist so eine Anklage berechtigt?
Hänsel: Ja. Es ist überfällig zu thematisieren, welche Folgen der sogenannte Krieg gegen die Drogen von Calderón für die Menschen in Mexiko bedeutet. Er geht mit einer Militarisierung des gesamten Landes einher, mit zahlreichen systematischen Menschenrechtsverletzungen, Folterungen und dem Verschwindenlassen von Menschen. Man spricht von offiziell über 40 000 Toten, die mittlerweile dieser »Krieg gegen die Drogen« gekostet hat. Dazu kommen noch mehr als 15 000 Verschwundene und die zahlreichen Binnenvertriebenen. Gegen Calderóns Politik mit rechtlichen Mitteln vorzugehen, war ein überfälliger Schritt.
Welche Rolle spielen deutsche Rüstungsexporte dabei?
Der Großteil der Waffen kommt aus den USA - dem nahe gelegensten Markt. Nichtsdestotrotz gibt es deutsche Rüstungsexporte nach Mexiko, die im Zeitraum 2006 bis 2010 sogar angestiegen sind. Eigentlich sind Rüstungsexporte in Krisen- und Konfliktregionen verboten, Mexiko wird aber nicht insgesamt als Krisenregion geführt. Es gibt zwar einige Einschränkungen, so dass in manche konfliktreiche Bundesstaaten keine Waffen geliefert werden dürfen, aber es gibt kein generelles Verbot, nach Mexiko Waffen zu liefern. Und zu allem Überfluss wurden auch in konfliktreichen Bundesstaaten wie Guerrero, Oaxaca oder Chihuahua Waffen des deutschen Rüstungskonzerns Heckler & Koch aus Baden-Württemberg gefunden. Da ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft Stuttgart, weil es sich hier offenbar um illegale Waffenlieferungen handelt.
Um was für Waffen handelt es sich da?
Es wurden G 36-Gewehre bei der lokalen Polizei in Bundesstaaten gefunden, in denen vor allem auch die Polizei und die Armee für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Und es gab Nachweise, dass es von Heckler & Koch Ausbildungskurse gab.
Wird das von Berlin angestrebte Sicherheitsabkommen mit Mexiko dadurch infrage gestellt?
Keinesfalls. Daran hält die Bundesregierung fest. Es sieht unter anderem vor, dass die Polizei in Mexiko Ausbildung und Ausstattungshilfe bekommen soll. Mit der mexikanischen Armee gibt es bereits ein Kooperationsabkommen, wo die Bundeswehr mexikanische Offiziere ausbildet. Das wird praktiziert, obwohl in Mexiko und darüber hinaus bekannt ist, dass sowohl Teile des Militärs als auch der Polizei in Menschenrechtsverletzungen involviert sind. Dieser Zustand ist völlig inakzeptabel. Alle Menschenrechtsorganisationen fordern von Deutschland, dieses Sicherheitsabkommen nicht abzuschließen und die Waffenlieferungen nach Mexiko sofort zu stoppen.
Die Bundesregierung sieht über die dokumentierten Menschenrechtsverletzungen hinweg?
Ja, die Bundesregierung negiert schlichtweg die Tatsache, dass Polizei und Armee Teil des Problems sind und nicht Teil der Lösung in diesem Konflikt.
Mexikos Oberstes Gericht hat im Juli entschieden, Menschenrechtsverletzungen der Armee und Zivilisten sollen künftig vor zivilen Gerichten verhandelt werden. Damit kamen die Richter den Forderungen von Menschenrechtsorganisationen nach fairen Verfahren endlich nach. Ist das ein Hoffnungsschimmer?
Der Entscheidung des Gerichts gehen die Urteile des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs voraus, der von Mexiko eingefordert hat, dass endlich Menschenrechtsverletzungen der Armee vor zivilen Gerichten verhandelt werden müssen. Formal ist es nun möglich. Real sieht es nicht danach aus. Die konkreten Fälle, die den Interamerikanischen Men-schenrechtsgerichtshof auf den Plan gerufen haben, bleiben nach wie vor juristisch ungeahndet, auch wenn sie formal jetzt von der Generalstaatsanwaltschaft untersucht werden. Vollkommen unangepackt bleibt die Frage des Opfer- und Zeugenschutzes oder des Schutzes der Menschenrechtsverteidiger. In Mexiko sind deutsche Investitionen besser geschützt als Menschenrechtsverteidiger. Insofern ist die Entscheidung des Obersten Gerichtes zwar ein wichtiger Schritt, aber er muss konkret umgesetzt werden und er reicht natürlich bei Weitem nicht aus.
Sie haben sich während der Delegationsreise unter anderem mit der Bundesgeneralstaatsanwältin Marisela Morales getroffen. Was sagt sie dazu, dass 97 Prozent der Menschenrechtsverletzungen in Mexiko überhaupt nicht juristisch verfolgt werden?
Das Treffen mit der Generalstaatsanwältin war sehr ernüchternd. Sie hat generell immer die internationale Unterstützung angefordert. Darüber hinaus hat sie die bedenkliche Auffassung geäußert, dass ein Großteil der Opfer von Menschenrechtsverletzungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität kommen, die sich dann an Menschenrechtsverteidiger wenden, obwohl sie Kriminelle sind. Sie hat auch schon in einem Interview Menschenrechtsverteidiger als nützliche Idioten der organisierten Kriminalität bezeichnet. Ein seltsames Rechtsverständnis. Sie kriminalisiert die Opfer als Kriminelle, obwohl 97 Prozent der Fälle nicht aufgeklärt werden. Wie also soll sie wissen, dass ein Großteil eigentlich aus der organisierten Kriminalität kommt? Das entspricht ein bisschen der generellen Linie der Regierung Calderón: Wir kämpfen gegen die organisierte Kriminalität und dann gibt es eben auch ein paar Opfer. Eine sehr zynische und auch propagandistische Sichtweise, die die internationale Gemeinschaft nicht akzeptieren darf.
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