Reinkommen verboten

Proteste bei der »Langen Nacht der Wohnungsbesichtigungen« / Zukunft der Veranstaltung unklar

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.
Bereits am Startplatz der »Langen Nacht« wurden Transparente hochgehalten.
Bereits am Startplatz der »Langen Nacht« wurden Transparente hochgehalten.

Breit baut sich der Herr mit den kurzrasierten Haaren vor der Wohnungstür in der Schlesischen Straße 14 in Kreuzberg auf. Die weiße Windjacke mit dem Signet des Veranstalters spannt sich über seinem muskulösen Oberkörper. »Ich lass Sie hier nicht rein!«, ruft er den rund 20 jungen Leuten zu, die im Treppenhaus stehen und die Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung wahrnehmen wollen.

»Ich kaufe die Wohnung, ich habe das Geld dabei!«, ruft einer der Protestierer. Aber es hilft nichts: Wenig später stürmt Polizei ins Treppenhaus. Die Wohnungsbesichtigung ist vorzeitig beendet. Einer schreibt noch mit Edding »verboten« auf das Wohnungsbesichtigungsplakat.

Einen »exklusiven Streifzug durch das Immobilienangebot der Hauptstadt« hatte der Internetmarktplatz Immobilienscout24 zusammen mit rund 50 Hausverwaltungen und Maklerbüros am Donnerstagabend bei einer erstmalig stattfindenden »Langen Nacht der Wohnungsbesichtigungen« versprochen. Acht Busse sollten durch die Bezirke touren und Besichtigungen in »erstmals öffentlich zugänglichen« Miet- und Eigentumswohnungen ermöglichen. Eine Ankündigung, die in der linken Szene als Provokation empfunden wurde.

Das Berliner Congress Center (bcc) am Alexanderplatz ist der Startpunkt der Busse. Robert Clausen von der Gruppe Avanti hält mit zwei Genossen ein Transparent hoch. »Steigende Mieten stoppen!« steht darauf. Ihn stört vor allem der Eventcharakter der Veranstaltung. »In den Bussen gibt es Guides, die etwas über hippe Kieze und angesagte Clubs erzählen sollen«, kritisiert er. Außerdem würden in den Touren nur hochpreisige Wohnungen angefahren. Wohnungen mit 12 oder auch 16 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter seien dabei. Das mache schon deutlich, an wen sich das Angebot richte. Alles über neun Euro Nettokaltmiete sei ein Skandal, so Clausen.

In der Tat ist Berlin, so eine Erhebung des Immobilienverbandes Berlin-Brandenburg, geradezu eine Fundgrube für Immobiliengeschäfte. Vor allem im Südwesten Berlins seien die Mieten im Vergleich zum Vorjahr um 10 bis 15 Prozent gestiegen, erklärte der Verband jüngst. Aber auch in Stadtteilen wie Friedrichshain, Kreuzberg oder Wedding gebe es kontinuierliche Steigerungsraten. Zusätzlich hätten auch die Preise von Eigentumswohnungen angezogen, die Privatanleger zudem »verstärkt als Kapitalanlage« nutzen würden. »Beliebt ist hierbei die Vermietung als Ferienimmobilie«, so der Verband in seiner Pressemitteilung.

Für Mia Hesse, die auch vor dem bcc gegen die »Lange Nacht der Wohnungsbesichtigungen« protestiert, ist vor allem die Politik schuld an den steigenden Mieten. Die linke Aktivistin fordert mehr sozialen Wohnungsbau und Mietobergrenzen bei Neuvermietungen. Außerdem sei der Mietspiegel mittlerweise zu einem Mieterhöhungsinstrument verkommen. Mia Hesse hofft, dass dies die letzte »Lange Nacht der Wohnungsbesichtigungen« war.

Früher als erwartet leert sich der Platz vor dem bcc am Alexanderplatz. Um 21 Uhr sind praktisch keine WohnungsinteressentInnen mehr da. Die Busse stehen leer herum. Der Kreuzberg-Bus dreht seine Runden, ohne bei Wohnungen anzuhalten. Er ist fast nur mit Protestierern gefüllt.

Laut Katja Henne, Sprecherin von Immobilienscout24, gab es allerdings weniger Zwischenfälle als befürchtet. Lediglich zwei Wohnungen in Kreuzberg mussten für Besichtigungen geschlossen werden, sagt Henne. Immobilienscout24 will nun Reaktionen einholen und dann entscheiden, ob im nächsten Jahr wieder eine »Lange Nacht der Wohnungsbesichtigungen« stattfindet.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -