Panzer an der weißen Linie
Vor 50 Jahren eskalierten die Ost-West-Spannungen am Grenzübergang Friedrichstraße
Es war eine gespenstische Szene, als an jenem 25. Oktober 1961 amerikanische Panzer auf westlicher Seite in scharfem Tempo auf den Kontrollpunkt Friedrichstraße zudonnerten und Zentimeter vor der Grenzlinie zum Stehen kamen. Die Amerikaner wollten Stärke demonstrieren. Testen, wie weit sie das Spiel treiben konnten, nachdem sie von der Grenzabriegelung am 13. August völlig überrascht wurden.
Der Grenzübergang Friedrichstraße, neudeutsch Checkpoint Charlie, war laut Viermächteabkommen Vertretern der Siegermächte und ausländischen Diplomaten zur Passage vorbehalten. Der Viermächtestatus, der auch den Zugang der vier Besatzungsmächte in den vier Besatzungszonen regelte, war schon lange zu einem Fetzen Papier verkommen: Jede Seite legte ihn nach Wohlgefallen aus.
Die DDR wollte die Festlegungen auf Westberlin reduzieren, da der Osten Hauptstadt der DDR geworden war und die Republik ihre volle Souveränität auf ihrem Territorium ausüben wollte. Wohl wissend, dass Westalliierte auch mit besonderen Rechten im Osten ausgestattet waren.
Am 23. Oktober hatte das DDR-Innenministerium eine Verordnung erlassen, wonach alle Zivilpersonen, die die Grenze passieren wollten, von DDR-Grenzern kontrolliert werden sollten. Das Argument: Es ist den Zivilisten nicht anzusehen, ob sie in diplomatischer Mission, als Zivilisten der Alliierte unterwegs seien oder sogar getarnte Provokateure und Spione wären. Am Tag zuvor hatte ein US-Diplomat mit seinem VW-Käfer auf Osttour gewollt, weigerte sich aber, auf DDR-Seite seinen Ausweis zu zeigen. Als die Grenzer darauf beharrten, kehrte er unverrichteter Dinge wieder zurück. Doch die Amerikaner wollten nicht aufgeben. Dem US-Diplomaten wurde nun eine Jeep-Eskorte von Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett beigegeben, die einen unkontrollierten Übergang in den Osten erzwingen sollte. Mehrfach wiederholte sich das Spiel. Mal war es ein VW, dann ein Ford, dann ein Bus mit Zivilisten. Sie fuhren einige hundert Meter die Friedrichstraße entlang und kehrten dann wieder um - obwohl sie hätten weiterfahren können. Doch ohne Erfolg. Die DDR-Grenzer ließen nur Personen in Uniform oder Zivilisten, die sich ausweisen konnten, passieren. Dann rollten die US-Panzer am 25. Oktober.
Die sowjetische Seite reagierte sofort und schickte ebenfalls Panzer an den Kontrollpunkt. Allerdings im sicheren Abstand zur Grenze. Ein Schuss, ein falscher Befehl in diesem Augenblick, hätte dramatische Folgen für den sehr labilen Frieden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges gehabt. Hinter den Panzern auf beiden Seiten beobachteten Berliner mit großer Sorge das Geschehen.
Die Amerikaner sahen in der Präsenz der Sowjets ein gutes Signal, ihre »Ehre« war wieder hergestellt. Es waren sowjetische und keine NVA-Panzer. Der damalige Sonderbeauftragte von US-Präsident Kennedy, General Lucius Clay, zeigte sich zufrieden, dass die Sowjetunion mit ihrem Panzeraufmarsch ihre Verantwortung für Ost-Berlin wahrgenommen habe. Und so setzten am 28. Oktober die Panzer auf beiden Seiten wieder etappenweise zurück und verschwanden nach Stunden der Konfrontation. Still akzeptierte die westliche Seite von nun an, dass sich Vertreter westlicher Missionen in Zivil an der Grenze gegenüber DDR-Grenzsoldaten ausweisen mussten. Auch auf westlicher Seite wurde mitten auf der Friedrichstraße eine Kontrollbaracke errichtet. Beide Seiten feierten den Rückzug als Sieg ihrer konsequenten Haltung.
Die Bilder vom US-Panzeraufmarsch bekamen die Leser des ND damals nicht zu sehen. In Moskau tagte der XXII. Parteitag der KPdSU, und da wollte man vor allem Erfolge und Normalität auf den Straßen der Hauptstadt demonstrieren. Da passten die Panzer nicht so gut ins Bild. Wohl aber Stimmen von empörten Bürgern der DDR, die diese Provokation »amerikanischer Militaristen und Ultras« (ND, 26. Oktober 1961) auf das Schärfste verurteilten und mit höheren Leistungen zur Stärkung der DDR antworteten.
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