Der Stuhl bleibt leer

»This Is Not a Film« des inhaftierten iranischen Regisseurs Jafar Panahi wird heute gezeigt

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Als auf der letzten Berlinale der Stuhl des Jury-Mitglieds Jafar Panahi, des berühmten und vielfach ausgezeichneten iranischen Filmemachers, leer blieb, gab es von allen Seiten Solidaritäts- und Protestbekundungen. Denn Panahi (unter anderem gewann er 2006 den Silbernen Berlinale-Bären für »Offside«) war Ende 2010 verhaftet und später zu drastischen sechs Jahren Gefängnis und 20 Jahren Reise- und Berufsverbot verurteilt worden, ein Urteil, das ein Berufungsgericht inzwischen bestätigt hat.

Das iranische Regime warf ihm und seinem Kollegen Mohammed Rasoulof »Propaganda gegen das System« vor und verhaftete sie und einige Familienmitglieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Nach drei Monaten Gefängnis und einem Hungerstreik kam Jafar Panahi auf Kaution frei und wartete auf sein Urteil. Doch Panahi wäre nicht Panahi, wenn er diese Wartezeit nicht kreativ genutzt hätte.

Mit seinem Kollegen Mojtaba Mirtahmasb - der seinerseits vor zwei Monaten in Haft kam - drehte er das Filmtagebuch »This Is Not a Film«. Zum Zeichen der andauernden Solidarität mit Panahi zeigen die Internationalen Filmfestspiele Berlin, die Deutsche Filmakademie und radioeins dieses Werk nun heute um 20.30 Uhr im Kino in der Kulturbrauerei.

Panahi lässt sich in der Dokumentation bei alltäglichen Verrichtungen filmen. Tee trinkend sitzt er in der Küche und telefoniert mit Freunden oder seiner Rechtsanwältin. Dabei benutzt er den Kollegen hinter der Kamera als Gesprächspartner und richtet sich gleichzeitig direkt an den Zuschauer. Dass diese Stilübung nicht in Exhibitionismus ausartet, ist Panahis Zurückhaltung und seinem Humor zu verdanken.

»Keiner verbietet mir, meine ungedrehten Drehbücher nachzuerzählen« sagt er und schreitet zur Tat. Auf dem riesigen Perserteppich seines Salons vermisst er mit Klebestreifen eine Art Grundriss des Sets, in dem einer seiner von der Zensur verbotenen Filme spielen sollte. Er liest aus dem Drehbuch vor und spielt einige Szenen in dem abgemessenen Areal nach - bis er abbrechen muss, weil ihm die Tränen kommen.

Zu einem späteren Zeitpunkt wird er es noch einmal versuchen und sich dabei ertappen, Mirtahmasb während seines Vorspiels Anweisungen zu geben. »Stimmt, ich bin ja kein Regisseur mehr«, lacht er dann bitter.

Die Unterstützung durch Familie, Bekannte und Unbekannte, sein Kampfgeist und Galgenhumor helfen Panahi, die Situation zu ertragen. Doch trotz des Fokus auf Panahi und seine Wohnung erfährt der Zuschauer in »This Is Not a Film« auch erstaunlich viel über den Alltag in Iran. Beim Internet-Surfen erzählt der Regisseur, dass die meisten Websites gesperrt seien. Ein Bekannter berichtet ihm am Telefon, dass die Vorbereitungen zum - offensichtlich auch mit vielen Böllern und Lagerfeuern im März begangenen - Neujahrsfest Nouruz die Polizei in nervöse Dauerbereitschaft versetzten.

Der Film, der offiziell keiner sein darf, macht nie depressiv. Im Gegenteil, man erlebt darin erstaunlich viele humorvolle Momentaufnahmen. So spaziert Panahis exotisches Haustier, ein Leguan, mal auf seinem Herrchen, dann auf dem riesigen Bücherregal umher. Ein anderes Mal verscheucht Panahi den besonders aufdringlichen Kläffer einer Nachbarin.

»This Is Not a Film« zeigt Panahi als zwar angeschlagenen aber nie gebrochenen Mann. Seinen Widerstandsgeist beweist der Künstler mit seinen effektivsten und persönlichsten Waffen: den Mitteln der Filmkunst. Wenn am Ende des Films ein Unbekannter vor Panahis Wohnhaus dabei gezeigt wird, wie er ein Lagerfeuer entfacht, kann man das sehr wohl als Zeichen für das noch immer lodernde Freiheitsbestreben des iranischen Volkes interpretieren.

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