Zeit für Experimente
Die deutschen Fußballer können heute sorgenfrei in der Ukraine testen
Berufliche Sorgen kennt Joachim Löw derzeit nicht. Die Qualifikation für die Fußball-EM im kommenden Sommer in Polen und der Ukraine ist mit rekordträchtigen zehn Siegen in zehn Partien geschafft, junge talentierte Spieler rücken im Rudel nach und selbst krankheitsbedingten Ausfällen kann der Bundestrainer im Sinne der Variabilität noch etwas abgewinnen. »Wir können es uns leisten zu experimentieren. Die Mannschaft ist gefestigt und noch eingespielter als vor der WM vor zwei Jahren«, erklärte Löw vor dem gestrigen Abflug nach Kiew, wo die deutschen Fußballer heute Abend im für 580 Millionen Euro umgebauten EM-Finalstadion auf die Ukraine treffen.
Vor den beiden abschließenden Länderspielen des Jahres, heute beim EM-Gastgeber und am Dienstag in Hamburg gegen die Niederlande, hat der Bundestrainer sein bevorzugtes Spielsystem längst gefunden. Das 4-2-3-1 mit zwei defensiven »Sechsern« für Tempokontrolle und Spieleröffnung, einem kreativen offensiven Gestalter mit zwei Flügelläufern sowie einem Mittelstürmer sitzt. »Die Philosophie und Grundelemente passen schon wie ein paar bequeme Turnschuhe«, sagte Löw, der sich im drittletzten Probelauf vor der Kaderbenennung sogar einen diplomatischen Luxus gönnte. Angesichts der Verletzung von Bastian Schweinsteiger gab er den Vielspielern des FC Bayern, Torwart Manuel Neuer und Kapitän Philipp Lahm, bis Samstag frei.
Selbst ausruhen will sich der Bundestrainer aber nicht. »Die Planspiele sind nicht gänzlich abgeschlossen. Manchmal sind Veränderungen notwenig.« Der Testlauf einer Systemänderung auf ein 4-4-2 mit Miroslav Klose und Mario Gomez im Sturm musste wegen Kloses Sehnenentzündung zumindest bis Dienstag verschoben werden. Dafür kündigte Löw an, heute die beiden Mittelfeldregisseure Mesut Özil und Mario Götze, die bei ihren Vereinen in Madrid und Dortmund immer mehr gefeiert werden, erstmals gemeinsam auf das Spielfeld zu schicken.
Die erste Chance der Empfehlung wird auch Hannovers 22-jähriger Torwart Ron-Robert Zieler erhalten - der nun schon 50. Debütant seit Löws Amtsantritt im Juli 2006. »Wir haben eine Generation von jungen Talenten, die schon sehr professionell sind und den Weg besser kennen, als Spieler vor einigen Jahren«, lobte der Trainer seine neben Götze und Özil mehr als ein Dutzend starke U 23-Bande, von der in Kiew nur Offensivkünstler Marco Reus mit einem Magen-Darm-Infekt passen muss. Und Löw sieht »in den nächsten Monaten sogar noch mehr Potenzial nachkommen.«
Für die 21 Auswahlspieler, die mit in die Ukraine gereist sind, ist die heutige Partie deshalb mehr als nur ein Freundschaftskick. »Die Konkurrenz ist groß. Wir haben viele gute Fußballer«, meinte Bayerns Toni Kroos, der sich im besonders mit Talenten gespickten Mittelfeld seinen Platz sichern will. Löw, der zuletzt andeutete, derzeit bis zu 30 Spieler auf dem Zettel für die EM zu haben, sind deshalb in den letzten Tests auch »bei allem Respekt für gute Ergebnisse, die Erkenntnisse wichtiger«. Mit dem Wissen, auf jeder Position genug Qualität zu haben, ist sich der Bundestrainer jetzt schon sicher, »dass die Nominierung relativ einfach wird«. Nicht einmal die Qual der Wahl bereitet Sorgen.
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