Der Rausch der Rage
Heute wird Wolf Biermann 75
Der Blick aus diesen Augen ist aufreizend arrogant - als schaue ein sehr selbstsicherer Überahnungsvoller auf lauter blöde Unterahnungslose. Blankfreche Herablassung ist dieser Blick - aber: Biermann schaut nicht von oben herab, sondern bleibt dem Gegenüber nahe. Denn: Messerspitzen benötigen Tuchfühlung. Er ist in die Gitarre so verliebt wie in die Dreckschleuder; sein Zorn bleibt unverschämt ungerecht. Er kennt sich, er liebt sich, er mag es, richtig verstanden zu werden und sagt dann oft, er sei missverstanden worden.
Er, der das Ideologische hasst, hält denen, die er verachtet, eine stacheldrahtige, herzinnerliche Treue. Er macht seinen Feinden, die politisch rotlinks stehen, mit schier unerträglicher Ausdauer das vor, was die selber gern praktizieren: nämlich ein Feindbild zu pflegen und es unbeschadet durch alle Wirklichkeiten zu tragen - mögen diese Wirklichkeiten sich noch so ändern. Wie Biermann zu den Kommunisten und den Sozialisten steht, das können Kommunisten und Sozialisten am besten nachfühlen, wenn sie an ihr ewig, bis heute verkorkstes, neurotisches Verhältnis zu den Sozialdemokraten denken: Da ist ein offenbar untilgbarer, überheblicher Abwehrreflex, verpackt in eine seltsame Mischung aus Überzeugungen, Überdrehtheiten und fortwährend (gut kalkulierter!) Überreaktion.
Dieser Sänger ist Simplizist, vermessen selbstbezogen, ein kecker Absolutist des Antistalinistischen; in seiner unablässigen Diktaturschelte: ein fröhlicher Monarchist. Aber sie hat oft entsetzlich Fug, diese nachtragende Art, Widersacher zu sein. Denn es gibt Geisteskerne, die bleiben hart, obwohl längst klar ist, dass aus ihnen kein neuer Gedanke keimt. Einer seiner schönsten Sätze: »Freiheiten werden gewährt von oben nach unten, Freiheit erzwingt man von unten nach oben.« In der DDR nahmen mit den Jahren die Freiheiten zu. So wurde weiterhin erfolgreich die Freiheit verweigert.
Biermann steht, noch zu DDR-Zeiten, an der Weidendammer Brücke in Berlin, unter sich die Spree, über sich ein runder Bogen Eisen. »In dieser Pose kann man es schön sehen: wie mir die Flügel aus den Schultern wachsen.« Zum Foto seines Freundes Roger Melis erzählt Biermann später, dass ihn dies Bild mit dem Brückenadler zu einem seiner bekanntesten Lieder angeregt habe: »Ballade vom preußischen Ikarus.« Darin die Zeilen: »dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab/ mach bißchen Wind - dann mach ich schlapp.«
Der Kerl machte nicht schlapp, und lediglich ein bisschen Wind, das war seine Sache nie. Wahrscheinlich fliegt er seit jeher überhaupt nur los wegen des Absturzes. Denn Absturz ist das Höchste: Rausch, Druck, irrer Zustand, tragischer Verrat an allen Fliegerträumen; aber schneller als im Sturz (Ikarus ist der Einzige, dem dies Fallen noch als Flug angerechnet wird) kommt man nicht auf den Boden, den man doch immer schon verloren hat. Und irgend woher muss man sich ja (Dichterpflicht!) die heil-losen Wunden herholen - um sie mit Wut zu reinigen, mit Reimen zu pflastern, mit Saiten zu vernähen. Abstürzen ist Synonym für Leben, es wird Orgasmus - wenn man andere mitreißt, und Biermann wollte immer schon viele mit in diesen Abgrund reißen, den er manisch herbeisingt und herbeischreibt. Ob die nun »Sindermann blinder Mann«, Krenz oder Gysi oder »Stasikiste« ORB hießen oder ob es ein lautes kratziges Ja-Wort zu Irak- oder Golfkrieg war.
Ja, Absturz ist Rausch. Deshalb müssen die Adlerflügel aus Eisen sein. Schneller, schneller! Wünsche sind nur die Nichtswolken, die man durchfliegt, Verwünschungen jedoch der Treibstoff, der alles noch schneller, wüster, tödlicher macht. Aber nicht nur an Höhe verlor der preußische Ikarus, wenn er den Liebhaber seiner selbst spielte: Sang er einst angstvoll, mutig, trotzig, zitternd wie »ein Kind im Walde«, so tönte er später wie der Pfau am Hofe. Es scheint mitunter, nicht mal der Hahn im Korbe reichte ihm.
Aber jetzt muss man auch fragen dürfen, warum ein Feind der DDR unbedingt auch Feind des Westens sein soll. Er kann es sein, er muss es nicht. Und im westlichen Deutschland stiller zu werden, als man es in der DDR war, das macht doch den dissidentischen Mut unter SED und Staatssicherheit nicht minderwertiger. Biermann durfte erst im Westen singen, wonach ihm war, und ihm war im Grunde stets nach leisen, liebenden, sehnenden, kitschigen, gleichsam französischen, »kaffeetrinkenden und ›Gauloise‹ rauchenden« Liedern zumute, nur war es das DDR-Regime, das ihn zum kräftigeren »Krähen« zwang, wie er sein Singen gern nennt. Biermanns elegische Kunst leidet am Leben, sie wurde eingeschränkt, indem sie nur immer an einem System leiden musste.
Denjenigen, der von Biermann auch im Westen eine Erzkritik fordert, die ihn gleichsam erneut an den Rand einer Ausbürgerung brächte und ihn erst unter solcher Prämisse zum ehrenwerten Sänger erhöbe - denjenigen möchte man nur fragen, welche Lieder, Gedichte, Nachdichtungen er vom Biermann der Bundesrepublik denn kennt. Einfach nur diese Frage. Vielleicht noch eine zweite Frage: wie aufrührerisch, mutig, unliebsam, selbstbestimmt er oder sie denn zu Ostzeiten selber war.
Biermann ist Hamburger. Der Vater war kommunistischer Widerstandskämpfer, ein Werftarbeiter, er wurde in Auschwitz ermordet. 1953, noch als Schüler, kommt Wolf Biermann in die DDR, bricht bald sein Politökonomiestudium ab, wird Assistent am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater, studiert Philosophie und Mathematik, gründet das »Berliner Arbeiter- und Bauerntheater« b.a.t., schreibt, erhält 1965 Auftrittsverbot, wird 1976 verjagt.
Brecht, so mutmaßte Heiner Müller, hatte Glück, dass es Hitler gab: So fand der »Dreigroschenoper«-Schreiber sein Thema und entging dem Schicksal eines gängigen Erfolgsautors. Biermann hatte vielleicht Glück, dass es Honecker gab. Der trieb ihn aus dem Staat, und er trieb damit der DDR einen ihrer dicksten Sargnägel in den Leib. Honecker vertrieb Biermann aus Ostberlin - Ausbürgerung, die böse Falle! - und legte so den Grundstein für dessen spätere Ehrenbürgerschaft. Die scheingebildete proletarische Nation übereiferte sich damals, in SED-Zustimmungsbekundungen zur Ausstoßung und wusste doch zu großen Teilen gar nicht, wer Biermann war. Aha, ein Sänger, erfuhr der folgsame Genosse weit draußen im Lande, und er durfte selbst- wie klassenbewusst kommentieren: Na und?, Sänger haben wir genug. Auch das kann man Parteilichkeit nennen. Hörig nicken, Schafskopf spielen: Es war alles andere als ein Spiel. Der Dichtersänger, mit Inbrunst seelenheiser, war jederzeit ein Gesinnungsexot. Der sich mit Lust wundgeschimpft hat auf der Suche nach lebendigem Leben: Material für den Rausch der Rage. Die »verdorbenen Greise« des Politbüros wurden zwar zur leitmotivischen Wiederholungsschleife, aber Biermanns Schimpfiaden (abgesetzt von den Liebeserklärungen an Havemann und Freunde) sind in ihrem Kern bös-hilfreiche Herausforderung, sich in den Scherben der geschichtsgroßen Träume dem eigenen Spiegelbild zu stellen.
Die DDR hat ihm den Hohn, den er weiter hartnäckig und beständig ausgießt, geradezu ins Füllhorn geschaufelt. Sie hat ihn aus heimlichen Küchenkonzerten in die Welt vertrieben. Zurück aber blieben 40 000 Blatt Stasi-Akten. Und es blieb des Künstlers Wutgier. Sein Beleidigungspathos. Sein wölfisches Wonneheulen (noch immer das Beste an ihm!). Er grinst mit Konsonanten, umarmt Akkorde. Hammerherz und Rührseele. Und was er in den Jahren dichtete oder nachdichtete - seine Bücher bündeln Poesie von deutschsprachiger Spitze. Spitz im Ton, spitz in den Sehnsüchten. Spitz und (gernegroß) bübisch.
Vielleicht war der Kommunismus wirklich an allem schuld. Denn Biermann glaubte an ihn. Und just dieser Glaube erst machte ihn stark, kühn, hybrid. Er sang nämlich nicht gegen das Regime, weil es von Kommunisten geführt wurde, er sang gegen das System, weil er die Führenden für Unkommunisten, sich aber für den besseren Kommunisten hielt. Er wurde Dissident aus Illusion, aus Anmaßung, aus messianischem Gemüt heraus, nicht aus Klarsicht. Die kam dann, und er wurde wieder leiser.
Wer diesen Biermann aufdringlich einseitig findet und sich belästigt fühlt von dessen impertinent sturer Bonzenallergie - der Sänger war den Oppositionellen in der DDR der gemütsstärkende Barde, er schuf Hymnen einer akut gebliebenen rebellierenden Romantik und Hoffnung, sich nicht verhärten zu lassen »in dieser harten Zeit«. Gestern, immerdar.
Zum Barden übrigens findet sich beim Römer Tacitus, in einem Text über die Germanen, dies: »Außerdem haben sie eine Art von Liedern, durch deren Vortrag, Barditus geheißen, sie sich Mut machen und aus deren bloßem Klang sie auf den Ausgang der bevorstehenden Schlacht schließen; sie verbreiten nämlich Schrecken oder sind selbst in Furcht … sie halten die Schilde vor den Mund, so prallt die Stimme zurück und schwillt zu größerer Wucht und Fülle an.« Poesie, Gesang: Flammenwurf, Höhlenrückzug, Erwartungszittern, Ohnmachtselend. Aber welch toller Klang.
Heute wird Wolf Biermann fünfundsiebzig Jahre alt.
Wolf Biermann und Anna Seghers, Peter Huchel und Heiner Müller, Franz Fühmann und Stephan Hermlin - »Künstlerporträts« von Roger Melis ist eine visuelle Kulturgeschichte der DDR. Der Band bietet rund 200 Aufnahmen aus 40 Jahren. Denkwürdige Fotos: ein Buch voller Erinnerungen, lieferbar aus dem Lehmstedt Verlag Leipzig (232 S., geb., 29,90 €).
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