Myanmar erhält eine Chance
Neue Regierung erfährt kräftige Aufwertung durch ASEAN, USA und eigene Opposition
Die Reformen in Myanmar verlaufen langsam, aber es gibt sie. Das erkennt selbst Barack Obama an, der am Rande des ASEAN-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali einen baldigen Besuch seiner Außenministerin Hillary Clinton im Lande ankündigte. Zuvor hatte der USA-Präsident ein Telefongespräch mit der Oppositionsikone Aung San Suu Kyi geführt. Deren Urteil ebenso wie die Stimmung auf dem ASEAN-Gipfel mögen seine Entscheidung beeinflusst haben. Der südostasiatische Staatenbund hatte ohnehin stets mehr auf Kooperation und Dialog mit seinem problematischen Mitglied gesetzt, während die USA das seit 1962 in wechselnden Konstellationen vom Militär regierte Land zu isolieren und durch Sanktionen unter Druck zu setzen versuchten.
Doch seit einem Jahr hat Myanmar wieder eine zivile Regierung - wenngleich Präsident Thein Sein und etliche Minister ehemalige Offiziere sind. Und Suu Kyi, die mehr als anderthalb Jahrzehnte unter Hausarrest stand, kann sich wieder frei im Lande bewegen. Da scheinen auch die westlichen Sanktionen nicht mehr lange zu halten. Die versammelten ASEAN-Staats- und Regierungschefs jedenfalls sahen keinen Grund, Myanmar den Vorsitz im Staatenbund zu verweigern, der dem Land 2014 turnusgemäß für ein Jahr zufällt. Demnach darf Myanmar in drei Jahren selbst Gastgeber eines Gipfels sein.
Die Einschätzungen über den Grad des Wandels gehen freilich weit auseinander. Vertreter südostasiatischer Parlamente meldeten Bedenken an: Die Fortschritte seien unzureichend, es handle sich größtenteils um »Lippenbekenntnisse«, die Zahl der politischen Gefangenen sei immer noch groß und die Zentralmacht stehe in diversen Konflikten mit ethnischen Minderheiten. Auch in der myanmarischen Oppositionsbewegung werden alle Entwicklungen zumindest mit Skepsis betrachtet. Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) hatte bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr gar nicht antreten dürfen. Um als Partei registriert zu werden, hätte sie ihre gerichtlich verurteilte Anführerin Aung San Suu Kyi ausschließen müssen. Nur eine Abspaltung der Liga nahm deshalb an den Wahlen teil. Jetzt aber entschied ein NLD-Spitzentreffen, dass sich die Partei künftig am politischen Prozess beteiligen werde. Suu Kyi selbst verkündete dies am Freitag als Ergebnis kontroverser Debatten. Unstrittig war, dass die NLD den Antrag auf Wiederzulassung als Partei stellen wird. Doch hielten einige prominente Mitglieder wie der Oppositionsveteran Win Tin (82) eine Wahlteilnahme unter den Bedingungen einer noch vom Militärrat verabschiedeten Verfassung für das falsche Signal. Durchgesetzt haben sich die Pragmatiker um Suu Kyi, die auch bei der Pressekonferenz zum Jahrestag ihrer Freilassung zu Wochenbeginn wieder für eine Versöhnung eintrat. Ob die Friedensnobelpreisträgerin bei bevorstehenden Nachwahlen selbst für einen Parlamentssitz kandidieren wird, ist offenbar noch nicht entschieden.
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