Die Lüge vom Abzug
Breites Bündnis demonstriert am Wochenende gegen die Bonner Afghanistan-Konferenz
Die internationale Afghanistan-Konferenz, die am Wochenende in und bei Bonn stattfindet, hat in hiesigen Medien einen durchaus guten Leumund. »Petersberg II« erscheint dort fast schon als ein Treffen von Peaceniks - und nicht von NATO- und anderen Staatsmännern. Tenor der medialen Botschaft: Bis 2014 wolle die NATO sämtliche Truppen vom Hindukusch abziehen. In Bonn werde nun der Kurs für die Zeit danach erarbeitet. Als Problem wird allenfalls noch erachtet, dass Pakistan seine Teilnahme an der Konferenz absagte.
Doch ginge es nach dem Protest-Bündnis »Dem Frieden eine Chance, Truppen raus aus Afghanistan!«, so würde das Treffen gleich in Gänze abgesagt. »In Bonn wird vor allem die reaktionäre Politik der Karsai-Regierung vor der Weltöffentlichkeit legitimiert«, monierte Reiner Braun auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf, auf der die geplanten Gegenaktionen vorgestellt wurden. Auch sei das Politiker-Meeting nicht, wie offiziell behauptet, eine Abzugskonferenz. »Das ist schlicht eine Lüge«, so der Geschäftsführer der Friedensinitiative IALANA. Mindestens bis 2024 wollten die USA Stützpunkte in Afghanistan halten, ein neuer sei geplant. Braun: »Eine Karte auf der Webseite des Pentagon zeigt, wo der McDonalds und sogar der Puff stehen werden.«
Auf der Konferenz könne es keine Fortschritte geben, das richtige Entscheidungsgremium dafür wäre allenfalls die NATO-Konferenz (»Wenn, dann sie«). Doch, so der Jurist Braun: »Wir müssen nicht auf die NATO warten. Die Bundesregierung kann heute schon ihre Truppen abziehen, das wäre ein wichtiges Signal.«
Das Spektrum derjenigen, die in Bonn protestieren werden, ist bunt. Es reicht von Pax Christi und den Internationalen Ärzten zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) bis hin zu Attac, der Linkspartei und weiteren linken Gruppen. Auch die Gewerkschaft ver.di ruft ihre Mitglieder dazu auf, am Wochenende für einen sofortigen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan zu demonstrieren.
Die Proteste beginnen mit einer Großdemonstration am morgigen Samstag, zu der 6000 Teilnehmer erwartet werden. Reden werden dort unter anderem die afghanische Parlamentarierin Malalai Joya, der US-amerikanische Friedensaktivist Joseph Gerson und die deutschen Politiker Gregor Gysi (LINKE) und Hans Christian Ströbele (dessen grüne Partei die Aktionen nicht unterstützt).
Auf der Demonstration wird ein eigenständiger afghanischer Block laufen - und ein Frauenblock. Die Organisatoren wollen »den Missbrauch der Frauenrechte zur Rechtfertigung des Krieges« anprangern, erläutert Sylvia Gabelmann. Sexualisierte Gewalt spiele eine große Rolle, die Selbstmordrate sei unter Afghaninnen höher denn je. »Die Frauen leiden ganz besonders unter dem Krieg«, resümiert die stellvertretende Landessprecherin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen.
Seit Wochen finden Mobilisierungsveranstaltungen in vielen Regionen der Republik statt. Rund 40 Busse aus dem ganzen Bundesgebiet seien bereits gebucht, heißt es seitens der Veranstalter. Die Auftaktkundgebung beginnt um 11.30 Uhr auf dem Kaiserplatz in der Nähe des Bonner Hauptbahnhofes.
Für den Samstag Abend wurde ein Ausflugsdampfer, die MS Beethoven, gebucht. Dort wird ein »Fest des Widerstandes« begangen. Tags darauf findet eine Gegenkonferenz mit Teilnehmern aus mindestens 14 Ländern statt. Sie soll die »Logik der NATO entlarven, Raum für Diskussionen schaffen und als Forum der fortschrittlichen afghanischen Stimmen dienen«. Am Montag soll ein Boot mit Friedensfahnen der Petersberg-II-Konferenz möglichst nahe auf die Pelle rücken.
Zu ihren Hochzeiten konnte die Friedensbewegung bis zu 300 000 Menschen in die damalige Bundeshauptstadt Bonn mobilisieren. Doch der NATO-Doppelbeschluss - und die Gefahr, selbst in einem Atomkrieg umzukommen - erschien Anfang der 1980er vielen näher als heute der Hindukusch. Mögen sich in Umfragen auch stets deutliche Mehrheiten für einen Abzug deutscher Truppen abzeichnen - Massen gehen bisher nicht auf die Straße.
Die Aktionen am Wochenende seien nur ein Zwischenschritt, gleichwohl ein wichtiger Zwischenschritt, sagt denn auch Mitorganisator Reiner Braun. Die bisherige Schwäche der Bewegung führt er insbesondere auf das Agieren der »einstigen Friedensparteien« Grüne und SPD zurück: »Die Bevölkerung wird durch den Menschenrechtsdiskurs verunsichert - das ist nicht gerade aktionsförderlich.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.