Qualifizierte Arbeit ohne Bezahlung
Psychotherapeuten wegen unhaltbarer Zustände während ihrer Ausbildung im Streik
Die Abkürzung PiA hat für die Betroffenen, von denen es bundesweit etwa 13 000 gibt, schon länger eine weitere, bittere Bedeutung: Psychotherapeuten in Ausbeutung. Die Ursachen dafür stellten gestern einige Vertreterinnen der Zunft in Berlin vor. Sie sind in unzureichenden Ausbildungsregelungen der Berufsgruppe zu suchen, aber auch in den Bestrebungen der Kliniken, möglichst qualifiziertes Personal für wenig Geld zur Verfügung zu haben. Während Mediziner mit ihrem Studienabschluss eine Behandlungserlaubnis erhalten und sich dann als »Ärzte in Weiterbildung« an einer Klinik zum Facharzt qualifizieren, erhalten sie Gehälter um 3500 Euro. Die künftigen Psychotherapeuten hingegen haben zwar ihr Psychologie- oder Pädagogikstudium ebenfalls abgeschlossen, müssen für den Psychotherapeuten aber noch eines der zwar staatlich anerkannten, aber privaten Institute besuchen. Für die dort angebotenen Studiengänge zahlen sie aus eigener Tasche zwischen 30 000 und 50 000 Euro. Verpflichtend dabei ist auch eine Zeit von anderthalb Jahren Praxis, die zum großen Teil in psychiatrischen Kliniken absolviert wird.
Genau um die schlechten Bedingungen in dieser Ausbildungsphase geht es den künftigen Therapeuten. Denn schon als PiA werden sie für qualifizierte Aufgaben in Anspruch genommen: Sie erheben Befunde, planen Therapien, führen Einzel- und Gruppentherapien durch, dokumentieren Visiten und schreiben Entlassbriefe. In ihrem Pseudo-Praktikanten-Status erhalten sie dafür aber keines oder nur ein lächerliches Entgelt bis zu 500 Euro. Dafür haben sie 25 Wochenstunden zu leisten. Hinzu kommen weitere neun Wochenstunden theoretischer Ausbildung am Institut. An dieses muss die Ausbildungsgebühr entrichtet werden, monatlich etwa 350 Euro. Wenn also Partner oder Eltern nicht zu finanzieller Unterstützung in der Lage sind, müssen die Diplompsychologen noch nebenbei jobben. Entsprechend wenig Zeit blieb daher auch für organisierten Protest, wie Julia Walendzik, PiA-Sprecherin für Berlin, gestern in der Hauptstadt erklärte.
»Wir fordern mindestens ernsthafte Gespräche mit den Klinikleitungen darüber, wie wir angemessen bezahlt werden können«, unterstreicht Robin Siegel, Sprecher der PiA-Bundeskonferenz. Die Kooperationsvereinbarungen zwischen den ausbildenden Instituten und den Krankenhäusern müssten auch für die Bezahlung Mindeststandards enthalten, zumal die Institute gut an ihren Auszubildenden verdienten. Hinzu kommen Forderungen zur Ausbildung: Die PiA erhalten noch nicht einmal überall eine begleitende Supervision.
Unhaltbar nannte Gerd Dielmann von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Ausbildungsbedingungen der angehenden Psychotherapeuten. Zwar gebe es einige wenige Kliniken, in denen die PiA zumindest als Praktikanten bezahlt würden. Dielmann fragte, warum für die Psychotherapeuten, deren Tätigkeit seit 1999 Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung ist, nicht endlich auch die Ausbildungskosten von der Gesellschaft übernommen werden, und fordert Politik und Bundesgesundheitsministerium zum Handeln auf.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.