Weder verfassungs- noch UN-konform
Forum Menschenrechte kritisiert Bundesregierung
Die aktuelle Bundesregierung amtiert mittlerweile eine halbe Legislaturperiode. Zeit für eine erste Bilanz: »Das Forum Menschenrechte sieht grundlegende Probleme in der deutschen Menschenrechtspolitik.« So schreibt es das aus über 50 Organisationen bestehende Netzwerk, das schon vor der Regierungsbildung »einen umfassenden Forderungskatalog« erstellt hatte, in seiner gestern veröffentlichten »Halbzeitbilanz«.
»Eine kohärente Querschnittspolitik«, bei der also »Menschenrechte eine wichtige Richtschnur für politisches Handeln auch in vermeintlich sachfremden Politikbereichen wie Energie oder Umwelt einnehmen«, könne trotz entsprechender Behauptungen seitens der Bundesregierung nicht festgestellt werden. Die zunehmenden Waffenexporte - eklatantestes Beispiel die Panzer für Saudi-Arabien, das kürzlich in Bahrain mithalf, Sozialproteste niederzuschlagen - stünden dem am offensichtlichsten entgegen.
Die Kritikpunkte sind so vielfältig wie die anklagenden Organisationen. »Wir warten seit drei Jahren auf die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt«, beschwerte sich gestern in Berlin Beate Wagner von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Dieses Zusatzprotokoll soll es Menschen ermöglichen, sich nach Ausschöpfung des staatlichen Rechtsweges mit einer Beschwerde an die UN zu wenden, damit dort ihre Fälle überprüft werden. Was die UN-Kinderrechtskonvention angeht, hat Deutschland erst recht Nachholbedarf. Zwar habe die Regierung 2010 ihren offiziellen Vorbehalt gegen die Konvention zurückgenommen, berichtet Wagner. Doch behaupte sie, dass weiterhin keine Gesetzesänderungen nötig seien. Dabei verbiete die Konvention »strengstens«, so Wagner, dass das Militär Werbeveranstaltungen für Minderjährige durchführt. Und für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gebe es in Deutschland derzeit keine ausreichenden Sonderregelungen - Terre des Hommes habe sogar von ehemaligen Kindersoldaten berichtet, die im Asylverfahren abgeschoben wurden.
»Zur Zeit geht das deutsche Ausländerrecht vor der Kinderrechtskonvention«, pflichtete Günter Burkhardt von Pro Asyl bei. »Das Asylverfahrensgesetz ist nicht kindgerecht.« Doch auch Erwachsene sind betroffen. »Die Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen 30 Prozent unter den Hartz-IV-Sätzen«, erinnert Burkhardt. »Die Regierung ändert das nicht, obwohl das Bundesverfassungsgericht das vermutlich 2012 für unrechtmäßig erklären wird.« Eine entsprechende Klage ist anhängig. Die aktuelle Rechtslage »grenzt an Rassismus«, so der Pro-Asyl-Geschäftsführer.
Doch auch die breite Masse der Bevölkerung wird nicht adäquat behandelt. Das Forum Menschenrechte wendet sich auch gegen die aus den seit 2001 zunehmenden Anti-Terror-Gesetzen erwachsenden Freiheitseinschränkungen.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.