Europa in der Hand von Merkozy

Berlin und Paris setzten auf EU-Gipfel Vertrag zur »Erhöhung der Haushaltsdisziplin« durch

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy triumphierten: Ihr Vorschlag für einen Haushaltspakt wurde in Brüssel angenommen - wenn auch nur von einem Teil der EU-Mitglieder.
nd-Fotos und Montage: Wolfgang Frotscher
nd-Fotos und Montage: Wolfgang Frotscher

Es war ein Jahrmarkt der Kuriositäten, was am Freitag und in der Nacht zuvor in Brüssel geboten wurde. Hatten Diplomaten noch zu Beginn des Treffens der EU-Oberen am Donnerstagabend eine schnelle Einigung über die Pläne von »Merkozy« ausgeschlossen, ließen die Staats- und Regierungschefs schon wenige Stunden später weißen Rauch aus dem Ratsgebäude am Rond-point Schuman aufsteigen: Die von Berlin und Paris auf den Verhandlungstisch gelegten Vorschläge zur »Erhöhung der Haushaltsdisziplin« waren unter Dach und Fach. Zu erwarten war das tatsächlich nicht. Denn um nichts Geringeres als die Veränderung der EU-Verträge ging es Merkel und Sarkozy. Künftig, so der Gipfelbeschluss, wird ein zwischen den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu schließendes Abkommen Schuldenbremsen und automatische Strafen für Defizitsünder vorsehen. Zudem soll der Euro-Rettungsfonds ESM nun Mitte 2012 statt wie ursprünglich geplant 2013 einsatzfähig sein.

Dass die schnelle Einigung zustande kam, ist einem simplen Trick geschuldet: Das ansonsten bei EU-Gipfeln übliche Einstimmigkeitsprinzip wurde de facto ausgesetzt, den Störenfrieden die Tür gewiesen. Nicht alle 27 EU-Mitgliedsländer werden den neuen Vertrag schließen, sondern lediglich die 17 Euro-Staaten und sechs weitere Nicht-EU-Länder. Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien hätten lediglich »die Absicht«, dem Vertrag beizutreten; Tschechen, Ungarn und Schweden wollten zunächst ihre Parlamente konsultieren, hieß es in der Abschlusserklärung. Überraschend wurde diese Passage jedoch am Freitagmittag »nachgebessert«: Aus den deutlichen Vorbehalten war die Tendenz zur Zustimmung der neun Staaten geworden.

Damit ist es allein Großbritannien, das dem Abkommen definitiv nicht beitreten wird - um den Londoner Banken- und Börsenplatz vor Regulierungen zu schützen. Kaum hatte David Cameron am Donnerstagabend diese Entscheidung verkündet, wurde die Jagd auf den Premier eröffnet. Als »völlig inakzeptabel« geißelte Sarkozy die britische Position; als egoistisch, feige, widersprüchlich bezeichneten sie Politiker von konservativ bis sozialdemokratisch. Und diesmal war es dem Grünen Daniel Cohn-Bendit vorbehalten, jene Frage zu stellen, die vor Wochen das Ende des griechischen Premiers Giorgos Papandreou einleitete: Will das Land überhaupt in der EU bleiben?

Dabei hatte Cameron nichts anderes getan als Merkel und Sarkozy. Die Kanzlerin und der Präsident haben all jene europäischen Regelungen gestoppt, die Interessen ihrer Banken und Wirtschaft verletzen würden. So blockierten beide - gegen den Willen der EU-Mehrheit - abermals die Einführung von Eurobonds, mit denen die Kreditaufnahme von Staaten der Spekulation der Kapitalmärkte entzogen würde. Und die Beteiligung der privaten Geldwirtschaft an Rettungsaktionen für Euro und Krisenländer wird im Schlussdokument ausgeschlossen. Gerade französische und deutsche Großbanken hatten diese Forderungen ihren Regierungen ins Pflichtenheft geschrieben.

Was nun bleibt, ist die faktische Spaltung der EU durch den Vertrag neben dem Vertrag. Ein solches Szenario, mal Kerneuropa, mal Europa der zwei Geschwindigkeiten genannt, war in der Vergangenheit stets verhindert worden. Aus gutem Grund, wie der polnische Regierungschef Donald Tusk auf dem Gipfel bekräftigte: »Wir nageln unseren eigenen Sarg zu, wenn wir uns vom Europa der 27 entfernen.«

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