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Stinkefinger billiger als Bildung
Schüler und Studenten demonstrieren vor dem Landtag gegen Kürzungen
Ein Pädagoge des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder dirigiert einen Sprechchor von Fünftklässlern. Von den 775 Zöglingen dieses Gymnasiums sind ungefähr 600 zum Landtag gekommen. Jungs aus der 8a halten ein Schild hoch. »Plötzlich werden staatliche Schulen groß geschrieben«, ist darauf zu lesen. Das Schild haben sie sich ausgesucht. Es gab mehrere zur Auswahl. Ein Junge gibt freimütig zu, die Lehrer hätten sie angestachelt. Seine Klassenkameraden glauben, dass die Privatschulen benachteiligt werden. So sieht es auch Schulleiter Wolfram Pfeiffer. Hinter den Kürzungen stecke »ganz klar eine politische Absicht und keine fiskalische«, sagt er. Denn ein Privatschüler koste die Steuerzahler nur zwei Drittel der Summe, die für einen Schüler einer öffentlichen Schule aufwendet wird. Wenn Privatschulen wegen der Kürzungen schließen müssen - und bei Grundschulen könne dies geschehen -, dann werde es am Ende für den Staat teurer, rechnet Pfeiffer vor. Seinem Gymnasium drohe zwar nicht das Aus. Aber es würde dort sicherlich weniger Arbeitsgemeinschaften und größere Klassen geben und eine Anhebung der Elternbeiträge wäre unausweichlich. Derzeit liegt der Mindestbeitrag noch bei 25 Euro im Monat.
Polizisten passen derweil auf, dass kein Kind zu weit auf die Straße läuft und unter die Räder gerät. Zwei Beamte beantworten nebenher noch freundlich grinsend die Fragen einiger Jungen: Nein, sie haben noch nie mit der Dienstwaffe auf einen Verbrecher schießen müssen. Nein, die Uniform hält nicht besonders warm. Nein, es kostet nicht 12 000 Euro, wenn man den Stinkefinger zeigt, aber es wäre »rotzfrech«. Die Jungen unterlassen die obszöne Geste. Sie wollten ohnehin nur wissen, was geschehen würde. Trotzdem ist am Landtag ein Kind mit Stinkefinger zu sehen, allerdings kein echtes, sondern nur ein gezeichnetes Kind auf einem Aufkleber. In einer Sprechblase steht: »Wir machen da nicht mehr mit.« Auf dem Aufkleber ist vermerkt, wann und wo die Demonstration gegen Kürzungen bei der Bildung beginnt. Die Route führt vom Filmmuseum bis an den Brauhausberg.
Auch öffentliche Schulen protestieren, ebenso Studenten und Professoren, die nicht mit der Streichung von zwölf Millionen Euro bei den Hochschulen einverstanden sind. SPD und LINKE hatten eigentlich zusätzliche Mittel versprochen, erklärte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Potsdam. Wenn sie jetzt kürzen, betrügen sie ihre Wähler, meinte er. Die Einnahmen des Landes seien 2011 um elf Prozent gestiegen. Die Kürzung bei den Hochschulen sei also nicht durch eine »unlösbare finanzielle Situation« verschuldet. Schon jetzt sei Brandenburg bei der Finanzierung der Hochschulen das Schlusslicht, so der AStA. Kein anderes Bundesland gebe in diesem Bereich pro Student, je Einwohner und auch gemessen am Bruttoinlandsprodukt weniger aus.
Die Abgeordnete Gerrit Große (LINKE) verblüfft mit dem Hinweis, der Bildungsetat werde insgesamt gar nicht beschnitten. Dieser Eindruck sei nur entstanden, weil Rücklagen angetastet werden. Tatsächlich sind Große zufolge im kommenden Jahr für die Bildung 1 474 379 700 Euro eingeplant. Dies seien über 36 Millionen Euro mehr als 2011. Dabei sinke die Schülerzahl um ein Prozent.
Die Grünen hatten vorgeschlagen, die zwölf Millionen Euro lieber beim Straßenbau als bei den Hochschulen wegzunehmen. Doch die SPD habe das abgelehnt mit dem fragwürdigen Argument, bei den Hochschulen, wo viele Dozenten nur über befristete Arbeitsverträge verfügen, sei es leichter, die Personalkosten zu reduzieren, erzählt Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Gegen die Kürzung bei den Privatschulen wollen CDU, FDP und Grüne beim Landesverfassungsgericht klagen.
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