Grundzentren ohne Boden
Sachsen LINKE will bessere Daseinsvorsorge und Grenzüberschreitungen bei Landesentwicklung
Einmal pro Woche kommt das Bäckerauto, und einmal rollt der Fleischer an: So oder ähnlich sieht in vielen Gemeinden auf dem sächsischen Land die Versorgung aus. Wer mehr braucht, muss fahren - meist in einen größeren Ort, der als »Grundzentrum« fungiert. Dort soll es neben Arzt und Apotheke, Kita und Grundschule auch »mehrere Supermärkte und Fachgeschäfte« geben, heißt es in einem Landesentwicklungsplan (LEP) von 2003.
Dieses Papier wird jetzt überarbeitet: 2012 soll ein neuer Plan für die Landesentwicklung in Kraft treten, der erneut etwa zehn Jahre gelten dürfte; ein Entwurf passiert gerade das sächsische CDU/FDP-Kabinett. Weil es sich nur um eine Verordnung handelt, hat der Landtag formal nicht mitzubestimmen.
Die Opposition will dennoch mitreden. Die LINKE hat jetzt ein 38-seitiges Papier mit Kernforderungen vorgelegt. Das Konzept der »zentralen Orte« hat dabei ausgedient, sagt Enrico Stange, Sprecher für Landesentwicklung. Zwar boomen Oberzentren wie Dresden und Leipzig, wo dank Zuzug und Babyboom die Einwohnerzahl wächst. Auch viele Mittelzentren wie Freiberg, Grimma oder Bautzen bleiben dank sanierter Innenstädte attraktiv. Mehr als die Hälfte der Grundzentren jedoch wird wegen des Schwindens der Bevölkerung »erodieren«, sagt Stange: Spätestens ab 2025 »droht dort die Auszehrung«.
Ein Viertel wohnt dezentral
Eine wichtige Frage wird sein, wie dann in derlei Regionen Versorgung und Daseinsvorsorge organisiert wird. Andere Bundesländer, die vor ähnlichen Problemen stehen, dünnen aus: In Thüringen sollen, so hieß es im Sommer, 33 der 76 Grundzentren diesen Status verlieren. Ähnliche Debatten gab es bei einer Gebietsreform in Sachsen-Anhalt. Dort hatten Fachleute empfohlen, angesichts knapper Finanzen das Angebot zu bündeln. Die LINKE in Sachsen empfiehlt das Gegenteil: Das »Grundzentrum« hat ihrer Ansicht nach ausgedient; an seine Stelle müsse eine »neue Form der kommunalen Zusammenarbeit« treten. Im Klartext: Dörfer und Kleinstädte sollen sich einigen, wo Geschäfte angesiedelt werden, wo eine Kita und wo Arzt und Apotheke. Wichtig sei, dass dennoch ein genügend dichtes Netz an Angeboten gewährleistet bleibt. Immerhin, sagt Stange, lebt noch ein Viertel der Sachsen »nicht in zentralen Orten«.
Damit diese nicht abgehängt werden, sind neue Überlegungen notwendig. Viele Hoffnungen werden auf die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet gesetzt; allerdings gibt es weiterhin Bevölkerungsgruppen, die das Internet nicht oder kaum nutzen. Die LINKE pocht deshalb darauf, dass Bürger auch in vertretbarer Zeit zu Versorgungseinrichtungen fahren können: Im LEP müssten laut Stange »verbindliche Kriterien« aufgestellt werden, wie schnell diese mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen sind. Bisher gilt noch allein das Auto als Maß aller Dinge.
Klar ist freilich, dass in Zeiten anhaltend hohen Bevölkerungsrückganges Einschnitte unumgänglich sind. Die Forderung »Alles überall für alle« vertrete die LINKE ausdrücklich nicht, sagt Fraktionsvize Jana Pinka. In einigen Punkten haben sich die Genossen von bisherigen Vorstellungen verabschiedet. So ist man jetzt gewillt, freie Schulen als gleichberechtigten Teil des Schulnetzes zu akzeptieren.
Länderfusion kein Thema
Bisher galt allein das Angebot staatlicher Schulen als maßgeblich. Vielerorts wurden jedoch Schulen von freien Trägern, darunter von Elterninitiativen, eröffnet, weil Schulen vom Land geschlossen worden waren.
Während bei der Bildung auf kurze Wege gesetzt wird, haben die Genossen nichts dagegen, wenn sich bei oberen Behörden die Wege verlängern - indem sich Institutionen über Grenzen von Bundesländern hinweg vereinigen. Bei den Rechnungshöfen, Statistikämtern oder Förderbanken etwa sei eine Kooperation mit Thüringen und Sachsen-Anhalt sinnvoll, sagt Stange. Eine Länderfusion jedoch ist für Sachsens LINKE derzeit kein Thema.
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