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Griechenland spart sich kaputt

Widerstand gegen eine ungerechte Staatsbürokratie und einen verordneten Sozialabbau mit fatalen Folgen

  • Anke Schrader, Athen
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wir werden nicht zulassen, dass ihr den Deckel über dem Sarg schließt, in den ihr uns geworfen habt«, stand auf einem Gewerkschaftsposter bei einem der vielen Streiks 2011. Die Botschaft an die Adresse der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB ist symptomatisch für die Verzweiflung, die längst viele Griechen im Kampf gegen die verordnete Sparpolitik erfasst hat.

Sie kämpfen um ihren bescheidenen Wohlstand, nicht wenige sogar gegen den nackten Hunger. Besitzer protziger Porsche-Geländewagen haben die Sparmaßnahmen auch 2012 wenig tangiert. Getroffen hat es dagegen die Halter der Klein- und Mittelklassewagen. Sie gaben im Dezember in Massen ihre Nummernschilder an den Schaltern der Steuerbehörden ab, weil sie weder Kraftfahrzeugsteuer noch Versicherung bezahlen können. Ganz davon abgesehen, dass die Benzinpreise hierzulande längst europäische Spitze sind.

Anfang Dezember bescheinigte die OECD Griechenland eine Staatsbürokratie, die die Umsetzung von Reformen behindere. Wer in Griechenland lebt, brauchte diese Feststellung nicht. Die Mehrheit der Menschen hier leidet darunter von Kindesbeinen an, eine Minderheit ist damit reich geworden. Und Änderung ist nicht in Sicht. Anstatt etwa die angeblich im Überfluss vorhandenen Staatsbediensteten zur Kontrolle der Selbstständigen, die immerhin 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, einzusetzen, um all die Ärzte, Rechtsanwälte oder Handwerker zu finden, die für ihre Dienste keine Quittungen ausgeben, wurde kurzerhand eine Kopfsteuer für alle Selbstständigen verhängt. Über die 500 Euro wird ein gefragter Anwalt oder Prominentenarzt nur lachen. Viele der freiberuflichen Fotografen oder Schauspieler dagegen konnten 2011 nicht einmal mehr ihre Sozialversicherung bezahlten.

Ähnliches gilt bei der ebenfalls eingeführten Sondersteuer auf Einkommen über 12 000 Euro im Jahr. Sie trifft Millionen abhängig Beschäftigter, der im großen Stil betrügende Nachtclubbesitzer mit deklariertem Einkommen am Rande der Armutsgrenze dagegen ist fein raus. Steckt er seine Gewinne in eine Off-Shore-Firma, bleibt ihm auch die neue Sondersteuer auf Immobilienbesitz erspart. Nicht aber seinem Gärtner, der seine kleine Dreizimmerwohnung ohnehin noch auf Jahre bei der Bank abstottern muss.

Diese Ungerechtigkeit hat auch 2011 wieder sehr viele Menschen in Griechenland auf die Straße getrieben. Nach dem spanischen Vorbild der »Indignados« versammelten sich ab Mai fast jeden Abend Tausende »Empörte« direkt vor dem griechischen Parlament. Denn die beiden großen, sich seit dem Zusammenbruch der Militärdiktatur (1967-74) an der Regierung abwechselnden Parteien PASOK und Nea Dimokratia gelten den Menschen im Lande als Inbegriff für Korruption und Klientelwirtschaft.

Während die Bewegung der »Empörten« Anfang August allerdings wieder versiegte, hielten die Proteste gegen die konkreten Austeritätsmaßnahmen das ganze Jahr über an. Einzelne Branchen wie Taxifahrer, Angestellte bei der Müllabfuhr oder öffentlicher Nahverkehr streikten über Wochen hinweg, andere wie Ärzte und Lehrer traten immer wieder für einzelne Tage in den Ausstand. Insgesamt vier Mal wurde die Wirtschaft des Landes durch einen Generalstreik lahmgelegt.

Die Heftigkeit des Widerstands ist nicht verwunderlich. Bereits im August war die Arbeitslosenquote auf 18,4 Prozent gestiegen, mehr als die Hälfte der Betroffenen ist bereits über ein Jahr arbeitslos und damit auch aus dem dünnen Netz der staatlichen Arbeitslosenunterstützung herausgefallen. Gleichzeitig stieg die Zahl der seit Monaten unbezahlten Lohnabhängigen, deren Betriebe Konkursverfahren eingeleitet haben.

Seit dem Herbst verging kein Tag mehr ohne Berichte über Kinder, die in den Schulen wegen Unterernährung ohnmächtig geworden sind. Die griechische Hilfsorganisation »Ärzte der Welt« gab im Oktober bekannt, dass ihre eigentlich für Migranten gedachten Kliniken mehr und mehr von Griechen aufgesucht werden, die sich nicht einmal mehr die fünf Euro Praxisgebühr oder die Medikamentenzuzahlung leisten können.

Im Kampf um das tägliche Brot verblassten für viele die großen Themen auf den politischen Bühnen. Kaum einer der Betroffenen schenkte den vor allem im Anschluss an den EU-Gipfel im Oktober kursierenden Szenarien aus Brüssel, Berlin und Paris, den Diskussionen um Schuldenschnitt, die Rettung des Euro oder die Rückkehr zur Drachme große Aufmerksamkeit. Selbst die Konkurserklärung der Regierung Papandreou und die ohne Wahlen erfolgte Einsetzung der Dreiparteienregierung unter dem Finanzfachmann Lucas Papademos im November wurde mehrheitlich einfach nur zur Kenntnis genommen. In den regelmäßig vorgenommen Umfragen, wem man zutraue, das Land aus der Krise zu führen, blieb der Favorit stets derselbe: niemand. Ohne eine Änderung der Politik, die das Land in den letzten zwei Jahren nicht etwa aus der Krise heraus, sondern seine Wirtschaft auf eine rasende Talfahrt geschickt hat, wird sich daran wohl auch im nächsten Jahr nichts ändern.

Zahlen und Fakten

Griechenland befindet sich nach den Worten von Regierungschef Lucas Papademos in der »schlimmsten Rezession« seiner Geschichte. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2011 um 5,5 Prozent sinken.

Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds unterstützen Athen mit Finanzhilfen. Im Gegenzug fordern sie u.a. Sozialreformen und die Privatisierung von Staatsvermögen im Umfang von 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2015.

In der Hauptstadt Athen ist die Zahl der Obdachlosen 2011 um 20 Prozent gestiegen. Auch in den Suppenküchen habe die Nachfrage um 15 Prozent zugenommen.

Die nicht gewählte Regierung der nationalen Einheit unter dem ehemaligen Banker Papademos finden 55,1 Prozent im Vergleich zu der seines Vorgängers Papandreou schlechter oder ebenso schlecht. Fast zwei Drittel der Griechen fürchten dieser Umfrage zufolge die Pleite ihres Landes. / ND

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