Oslo vor dem Albtraum
Ist Skilanglauf nur Sport? Von den gut 150 000 Menschen ringsumher hätte an diesem Sonntag im März niemand mit Ja geantwortet. »Lebensinhalt« hätte die Erwiderung gelautet, oder »mein Ein und Alles«. Oder »meine Religion«.
Ich hatte keine Zeit zu fragen. Ich musste schreiben. Die Nordischen Skiweltmeisterschaften von Oslo gingen zu Ende, mit einem perfekten Tag. Die Sonne strahlte, vom Fjord zog frische, klare Luft herauf zum Holmenkollen, wo in den Wäldern neben der Loipe bunte Zelte im Schnee standen: Hier campierten all jene, die keine Karte bekommen hatten.
Auf der Loipe bescherte Norwegens Langlauf-Heiliger Petter Northug seinen Jüngern noch ein weiteres Mal Hochgefühle: Mit leichtem Schritt gewann er den 50-Kilometer-Lauf. Goldmedaille Nummer acht für die Gastgeber. Die Leute auf den Tribünen umarmten einander, lachten, sangen - das herzerwärmende Finale eines begeisternden Sportfestes. Insgesamt 575 000 Zuschauer hatten den Holmenkollen in acht Tagen besucht.
Mein Zimmer in Oslo lag nicht weit weg vom Universitätsplatz, wohin allabendlich die Massen strömten - zur Medaillenzeremonie, bei der berühmte norwegische Musiker spielten: Madcon oder Kings of Convenience. Ja, sogar zu Wencke Myhre strömten die Teenager, die Besucher aus aller Welt kamen sowieso. Es gab Aquavit und Lachs. Das Wetter war ungewöhnlich mild für Anfang März. Gab es einen schöneren Platz als Oslo in diesen Tagen? Ich hätte Nein geantwortet, hätte mich jemand gefragt, als ich abreiste.
Am 22. Juli startete der Massenmörder Anders Breivik seinen albtraumhaften Feldzug von Oslo nach Utoya. 77 Menschen starben, die meisten Teenager. Ich erfuhr davon aus der Zeitung, ich saß auf der Urlauberfähre von Hiddensee zurück nach Stralsund und weinte.
Zu Weihnachten denke ich an die Familien und Freunde all der jungen Leute, die sterben mussten. Ich wünsche ihnen Frieden.
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