Verzögern bis in alle Ewigkeit
Experten zweifeln an Rückholbarkeit des Atommülls aus der Asse
Ein zunächst offenbar gezielt an niedersächsische Medien weitergeleitetes internes Papier aus dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) an das Bundesumweltministerium hat die Diskussion um die Bergung der radioaktiven Abfälle aus dem maroden Atommülllager Asse neu belebt. In dem internen Memorandum, das auch dieser Zeitung vorliegt, stellen BfS-Experten des Fachbereichs »Sicherheit nuklearer Entsorgung« die bislang verfolgte Bergung der radioaktiven Abfälle in Frage.
Weil für das probeweise Anbohren von ersten Atommüllkammern und andere Vorbereitungen noch acht bis zehn Jahre zu veranschlagen seien, könne beim bisherigen Verlauf der Genehmigungsverfahren der »eigentliche Rückholungsprozess« erst ab 2025 beginnen. Die Arbeiten könnten »nicht vor 2040« beendet sein. Zwischenzeitlich drohe das Risiko eines »unbeherrschbaren Lösungszutritts« sowie der »Verlust eines zum Zweck der Rückholung ausreichenden, gebrauchstauglichen Grubengebäudes«. Die Standsicherheit des maroden Bergwerks ist Gutachten zufolge nur noch für wenige Jahrzehnte gewährleistet. Als äußerst zeitaufwendig wird in dem Papier auch die Errichtung eines neuen Schachts und der Bau eines oberirdischen »Pufferlagers« für die geborgenen Abfälle bewertet. Insgesamt deuteten alle dargestellten Indikatoren darauf hin, dass im Verlauf der nächsten Monate bis Ende 2012 »eine Sachlage eintreten wird, die eine weitere Verfolgung der Stilllegungsoption ›Rückholung‹ als sicherheitstechnisch nicht mehr vertretbar erscheinen lässt«, heißt es abschließend in dem von Abteilungsleiter Michael Hoffmann unterzeichneten Papier.
BfS-Sprecher Florian Emrich sagte auf Anfrage, die langfristige Sicherheit von Mensch und Umwelt sei nach dem aktuellen Stand nur durch die Rückholung der in dem Bergwerk eingelagerten Abfälle gewährleistet. »An dieser Einschätzung hat sich auch nichts geändert«, betonte Emrich. »Es gibt keine Neupositionierung oder Neubewertung des BfS, die sagt, die Rückholung ist nicht möglich.« Klar sei aber auch: »Wenn sich der Zeitbedarf für die Planung, Genehmigung und Realisierung der für die Rückholung notwendigen Schritte wie bisher fortsetzt, dann macht der schlechte bergbauliche Zustand des Bergwerks diesen Weg zunehmend unwahrscheinlich.« Bei einem Workshop im Januar will das BfS diese Fragen mit allen Beteiligten klären.
Das BfS, dem 2009 von der Bundesregierung der Betrieb der Anlage übertragen worden war, hatte sich nach einem Vergleich verschiedener Schließungsvarianten für die Rückholung entschieden. Bei einer Flutung des Bergwerks oder einer Umlagerung der Abfälle sei die Langzeitsicherheit nicht zu gewährleisten. Die Vorbereitungen für die Rückholung verzögerten sich in den vergangenen Monaten aber immer weiter. Zuletzt verschob das BfS das Anbohren der ersten Atommüllkammer auf das kommende Jahr. Dadurch soll ermittelt werden, in welchem Zustand sich die Kammern und die Abfälle befinden. Das niedersächsische Umweltministerium hatte die Genehmigung für die erste Bohrung mit umfassenden Auflagen versehen, die das BfS bislang nicht vollends erfüllen konnte.
Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien vermuteten, dass die Umweltministerien in Berlin und Hannover die Rückholung des Atommülls absichtlich verzögern. Umweltschützer werteten das Memorandum als eine »weitere Attacke von Flutungsbefürwortern«. Nach Ansicht des Asse-2-Koordinationskreises, einem Zusammenschluss örtlicher Bürgerinitiativen, arbeitet insbesondere das Bundesumweltministerium (BMU) gegen die Rückholung. Minister Norbert Röttgen (CDU) habe sich bislang nicht zur Rückholung bekannt. Auch das niedersächsische Umweltministerium verzögere durch seine Genehmigungs- und Auflagenpraxis die Rückholung. »Die Flutungsbefürworter befürchten doch letztlich die Bilder von zurückgeholtem Atommüll«, sagte der Sprecher des Kreises, Andreas Riekeberg. »Damit würde das Scheitern der deutschen Endlager-Strategie ›aus den Augen - aus dem Sinn‹ allzu offensichtlich.« Die niedersächsische SPD fordert, an der Rückholung der atomaren Abfälle unbedingt festzuhalten. Das Vorhaben müsse »endlich Chefsache werden«.
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