Tod bei Tellingstedt
Das Stück »Alexandra« im Schlosspark Theater beschreibt Aufstieg und Fall eines Stars
Berührend das Foto im Programmheft: Von vier strahlend jungen Schlagerbarden der 1960er Jahre lebt nur noch Vicky Leandros. Die anderen wurden Opfer ihres Jobs, Roy Black, Rex Gildo, auch Alexandra. Nächstes Jahr wäre sie 70, 1969 starben sie und ihre Mutter bei einem Auffahrunfall, nur der kleine Sohn blieb fast unverletzt. Der frühe Tod nach dreijähriger Karriere erhob die Sängerin zur Legende, die, wie der Internet-Fanblog ausweist, bis in unsere Tage wirkt. Eine TV-Dokumentation von 1999 recherchierte manche Ungereimtheit um Alexandra, trug dem Autor Drohanrufe ein. Sie habe was falsch gemacht, trotz allem Ruhm, wird sie darin aus einem Interview zitiert. Sorgsam hat auch Michael Kunze der Biografie nachgefahndet und sie zu einem Stück geformt. Als »Alexandra - Glück und Verhängnis eines Stars« erlebte es im Schlosspark Theater seine Uraufführung.
Zweieinhalb Stunden lang bleibt auf Matthias Karchs Bühne ein TV-Studio einziger Schauplatz - von Metallgehängen flankierte Showszene, ein Ort der Künstlichkeit, wie Alexandra die gleißenden Plätze zunehmend empfunden haben mag. Auf eine Stufe setzt sie sich, will ihre Geschichte erzählen, wird unterbrochen von Jaques, dem letzten Gefährten, der die Dinge anders sieht, von höherer Warte. Geschickt entgeht Kunze der Gefahr des chronologischen Lebensberichts, setzt auf Aussagendualität. »Ich wollte die deutsche Gréco werden«, gesteht sie, »du warst naiv«, kontert er.
Mit 19 sang sie in russischen Restaurants auf der Reeperbahn, verzichtete aufs Abitur, lernte dort ihren Mann kennen. Seinen Namen Nefedov trug die geborene Doris Treitz bis zum Ende, von ihm stammt Sohn Alexander, der das Künstlerpseudonym Alexandra gab. Nefedov, Schriftsteller, der aufs Visum für Boston wartet, will ihr das Singen verbieten, Scheidung ist die Konsequenz. Alexandra hofft auf den Einstieg in die Branche, jobbt, besucht eine Schauspielschule, lernt den entscheidenden Produzenten kennen. Ein Lied für ihren Sohn singt sie bei den Probeaufnahmen, auch »Plaisir d’amour«. Die deutsche Joan Baez soll aus dem »Juwel« werden, der Phonogram-Chef, weniger überzeugt, erlaubt eine Single als Test.
Dann folgen die Hits: »Schwarze Balalaika«, das ihr abgerungene »Sehnsucht«, »Zigeunerjunge«. Fixiert war sie mit ihrem dunklen Timbre auf melancholisch russische Balladen. Hazy Osterwald nimmt die noch Unbekannte mit auf Tour durch die Sowjetunion, wo der KGB zur Sicherheit einen Musikstudenten auf sie ansetzt, in den sie sich prompt verguckt. Als sie fürs Vorprogramm von Adamo engagiert ist, der Star sich verspätet, begeistert sie das aufgebrachte Publikum und gerät an Adamos Manager: wieder eine Affäre mit Effekt. Er garantiert ihr, dass sie endlich eigene Texte schreiben darf. »Illusionen« entsteht, Musik Udo Jürgens, mit dem sie sich anfreundet, der Verkaufserfolg bleibt aus, die Auftritte jagen einander: Rio, Nizza, Amsterdam. Sie wolle die Welt heller machen, sagt sie, schreibt Text und Musik zu »Mein Freund, der Baum« über das Sterben der Natur.
Sie ist überanstrengt, als Mutter überfordert, gestützt von der eigenen Mutter. Und träumt von einem weißen Mercedes mit roten Ledersitzen, vom vorgeschossenen Managergeld. Amsterdam wird Jaques‘ Stunde: Er, Korea-Pilot, nun in Koblenz, gewinnt ihre Liebe, für Alexandra »der Mann meines Lebens«, fortan ihr Berater.
Dann die Enttäuschung: Jaques kneift, als sie ihn heiraten will. Eine Detektei findet heraus, dass er schon gebunden ist. Alexandra bricht zusammen, der Plattenumsatz stockt ohnehin, sie muss ins Krankenhaus. Trauriger noch geraten die Liedtexte, vom Herz, das über Meere zum Geliebten fliegt, vom Sommer, mit dem alles in Scherben geht. Im Pariser Olympia, dem Mekka des Chansons, fühlt sie sich angekommen, angenommen, als Jaques auftaucht und warnt, sie sei in Gefahr. Niemanden habe sie mehr, dem sie vertrauen könne, bricht es beim Produzenten aus ihr heraus, eine der bewegendsten Szenen des Stücks.
Der Urlaub auf Sylt soll der Selbstfindung dienen: Ihr Mercedes fährt auf unübersichtlicher Kreuzung einem steinbeladenen LKW auf. Was genau geschah, bleibt offen, woran auch Kunze nicht rüttelt. »Der Traum vom Fliegen« blieb Alexandra, uns bleiben ihre Lieder.
Jasmin Wagner, als »Blümchen« von frühem Schlagerruhm, überzeugt im Spiel, kann gesanglich indes nicht Charisma und Faszinosum der realen Alexandra erfahrbar machen. Timothy Peach als Jaques, Stephan Szasz als Produzent, Helge Bechert als Manager prägen Adelheid Müthers punktgenaue wie schlichte Inszenierung.
Bis 20.1., Schlosspark Theater
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.