Fiebrige Erwartungskurve

Handball-EM in Serbien: Gastgeber wollen die Renaissance einstigen Ruhms

  • Michael Müller, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Sportpolitisch und organisatorisch sehen sich die serbischen Gastgeber der Handball-Europameisterschaft (15. - 29. Januar) längst im grünen Bereich. Sportlich dürfte der Weg zum Erfolg etwas schwieriger werden. Wobei die Ziele für das Turnier allerdings sehr ambitioniert sind: ein Medaillenplatz sowie ein Ticket für die Olympiaqualifikation.

Bei dieser Heim-WM will Serbien an glorreiche alte, sprich: jugoslawische Zeiten anknüpfen, als man sich mit Olympia-, WM- und EM-Gold verwöhnen konnte. Doch die Zeiten sind längst andere, und die nationale Erwartungskurve vor dem EM-Start ist deshalb eine sehr fiebrige. Seit dem vergangenen Sonntag pendelt sie sich nun zwischen optimistisch und leicht euphorisch ein. »Das war ein wichtiger Sieg. Auf diesem Niveau können wir beim Turnier vorn mitspielen«, meinte Kapitän Momir Ilic nach dem 26:23 (14:10)-Testspielerfolg gegen den EM-Teilnehmer Mazedonien. Und sein Teamkollege Ivan Stankovic konkretisierte schon recht verwegen: »Wenn wir Polen schlagen, ist das Halbfinale fast erreicht.«

Stankovic meinte das Belgrader EM-Auftaktspiel am kommenden Sonntag in der Gruppe A, in der auch Dänemark und Slowenien spielen. Doch besagte Erwartungskurve könnte schon vorher einen kleinen Knick nach unten bekommen, denn heute Abend steht gegen Tschechien, ebenfalls EM-Teilnehmer, noch das letzte Testspiel an. Ginge es nach Trainer Veselin Vukovic, hätte er gern noch eins oder gar zwei mehr, »obwohl alle schon heiß aufs Turnier sind«. Man habe sich gegen Mazedonien schon »sehr gut präsentiert, aber die optimale Formation aus unseren super Individualisten wohl doch noch nicht ganz gefunden«.

Das war in der heißen EM-Vorbereitung das wichtigste Ziel des Cheftrainers, der das Amt nach der blamablen EM-Vorstellung 2010 (Platz 13) übernommen hatte. Davor hatte das Geld des Verbandes nicht einmal für einen Vollzeittrainer gereicht; der höchst verdienstvolle Sead Hasanefendic, der kroatische Coach des VfL Gummersbach, hatte das als Zweitjob gemacht.

Veselin Vukovic erhält nun zwar mehr Unterstützung vom Serbischen Handballbund, doch das Grundproblem bleibt. Auch er kennt seine Leute hauptsächlich von Videos, von seltenen Spielbesuchen und von noch viel selteneren Kurztrainingslagern. Vom 21-köpfigen Kader, mit dem er am 29. Dezember in die Vorbereitung ging, sind nur zwei Spieler in einheimischen Vereinen aktiv.

Zu mächtig ist für serbische Talente bereits in jungen Jahren der Sog ins Ausland. Dort verfügen die starken Klubs teilweise über ein Zwanzigfaches des Etats der führenden serbischen Vereine Partizan und Roter Stern Belgrad, und können deshalb auch ein Mehrfaches an Spielergehältern zahlen. Wie anders war das noch in der jugoslawischen Ära mit Metaloplastika Sabac! Der Klub holte in den 80er Jahren achtmal die Landesmeisterschaft und zweimal den Europapokal. Der heutige Nationaltrainer Vukovic war Teil jener legendären Mannschaft.

Die meisten aktuellen serbischen Stars verdienen ihr Geld zwar in den besten Ligen der Welt (besonders Deutschland, Frankreich und Spanien), »aber eben weit weg von einem wirklich geregelten Auswahlzyklusprogramm«, muss Bozidar Djurkovic, Generalsekretär des Handballbundes RSS, einräumen. Dennoch setzte er dieser Tage in einem »Politika«-Interview darauf, »dass wir eben Spieler haben, die eine Medaille erreichen können.« Zu denen gehören vor allem die deutschen Legionäre: Kapitän Momir Ilic, der 2010 mit THW Kiel alle nationalen und europäischen Titel gewann, Zarko Sesum (Rhein Necker Löwen), Nenad Vuckovic (Melsungen) oder Momir Rnic (Göppingen). Sie warfen im jüngsten Testspiel gegen Mazedonien ein Drittel der 26 Tore.

In der Person des 24-jährigen Rückraumspielers Rnic spiegelt sich übrigens der historische Bogen von einstigem serbischen Handballruhm zur jetzt erhofften Renaissance wider. Sein Vater, Weltklassekreisläufer Momir Rnic (senior) war mit der jugoslawischen Nationalmannschaft 1984 Olympiasieger und 1986 Weltmeister geworden. Momir Rnic (junior) hat Körpergröße und Talent des Vaters geerbt. Ob er auch einmal in seine Erfolgsfußstapfen treten kann, wird nicht zuletzt das Abschneiden Serbiens bei seiner Heim-EM zeigen.

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