Auf dem Drahtseil

Bayerns Freie-Wähler-Chef Aiwanger balanciert zwischen Rot-Grün und CSU - und blickt auf 2013

  • Carsten Hoefer, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Freie-Wähler-Chef Aiwanger schaut hoffnungsfroh in die Zukunft: Nach der Landtagswahl 2013 werden entweder CSU oder SPD und Grüne auf ihn angewiesen sein, um eine Regierung bilden zu können, glaubt Aiwanger. Doch das ist ein schwieriger Balanceakt mit ungewissem Ausgang.

Augsburg. Hubert Aiwanger hat ein ziemlich ehrgeiziges Ziel: Er will als Königsmacher nach der Landtagswahl 2013 bestimmen können, wer in Bayern regiert. Deswegen will der Freie-Wähler-Chef bis zur Landtagswahl jede Festlegung vermeiden, welcher Koalitionspartner ihm denn lieber wäre - und gleichen Abstand zu CSU und Rot-Grün halten. Doch damit hat sich Aiwanger auf ein Drahtseil begeben, auf dem er nun das Gleichgewicht halten muss.

Denn inhaltlich sind die Freien Wähler (FW) in mehreren Punkten der CSU näher als Rot-Grün. Aiwanger will sie einerseits als »nachhaltige Kraft der bürgerlichen Mitte« positionieren und umwirbt den ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel. Der ist bekennender Euro-Rebell, sogar der FDP zu marktradikal und für SPD und Grüne sowieso nicht vermittelbar. Doch gleichzeitig ist Aiwanger meistens freundlich zu SPD und Grünen und wirft der CSU vor, »nicht demokratiefähig« zu sein.

Lange völlig missachtet

Dabei geht es ganz abgesehen von den Inhalten um sehr tief sitzende Gefühle. Manche Freien Wähler mögen die CSU grundsätzlich nicht, es gibt auch einige Überläufer von der CSU in ihren Reihen. Umgekehrt betrachten manche CSUler die Freien Wähler aus demselben Grund mit großer Abneigung. Hinzu kommt, dass die CSU die Freien Wähler nach ihrem Einzug in den Landtag lange mit völliger Missachtung demütigte.

Das kränkte Aiwanger, der mit der Vorstellung ins Münchner Maximilianeum kam, er könne »Brückenbauer« sein. Doch die CSU/FDP-Regierung hat eine stabile Mehrheit und braucht daher keine Brückenbauer in der Opposition. Dieser Stachel sitzt offensichtlich tief: »Es heißt am Ende: Können wir die CSU demokratisieren, ja oder nein? So wie die CSU sich momentan präsentiert, ist sie nicht demokratiefähig«, sagt Aiwanger. Die CSU sei immer noch von der Arroganz der Macht geprägt.

Bei ihrer Winterklausur in Augsburg versuchen nun die Freien Wähler, CSU und FDP ein Urthema abzujagen: Mittelstand und Handwerk. »Ohne Mittelstand und Handwerk läuft der Laden nicht«, sagt Aiwanger - schöner könnte es auch ein CSU- oder FDP-Abgeordneter nicht formulieren. In der Wirtschaftspolitik seien die FW insgesamt der CSU näher als Rot-Grün, sagt der Fachexperte Alexander Muthmann. »Die eine oder andere Idee, der Staat müsse alles richten - da sind wir sehr skeptisch«, meint er über die Linie der SPD-Fraktion. Ebenso in der Rechts- und Sicherheitspolitik: Im Landtag fahren die Freien Wähler in dieser Hinsicht gelegentlich sogar rechts der CSU.

»In der Sicherheitspolitik haben wir mit der CSU mehr gemeinsam«, betont Joachim Hanisch, der Chef des Innenausschusses. »Die Innenpolitik der CSU war über Jahrzehnte gut, keine Frage«, meint der schwäbische Abgeordnete Bernhard Pohl. »Günther Beckstein war ein herausragender Innenminister.« In dieser Hinsicht trennen die Freien Wähler Welten von den Grünen, mit denen sie im Falle eines Falles gerne koalieren würden. Denn auch Pohl sagt: »Das Problem mit der CSU ist, dass sie nicht bereit ist, mit uns auf Augenhöhe zu sprechen.«

Doch aus Sicht der Freien Wähler sind derlei Widersprüche kein Grund zur Sorge: »Solange die CSU sich selbst nicht einig ist, ob sie zu uns lieb oder böse sein soll, müssen wir uns darüber keine großen Gedanken machen«, sagt die Oberpfälzer Abgeordnete Tanja Schweiger. Aiwanger selbst betont, dass es in mehreren Punkten große Übereinstimmung mit SPD und Grünen gebe: in der Bildungspolitik - wobei Aiwanger allerdings die von den Sozialdemokraten favorisierte Gemeinschaftsschule ablehnt - in der Kommunalpolitik und im ländlichen Raum.

Im Niemandsland

Aiwanger hält nichts von Lagerdenken in der Politik - »diesem Herausbeißen von politischen Gruppen«. Er möchte gern ohne politische Lager ausschließlich sachorientiert arbeiten. Doch aus Sicht der anderen vier Fraktionen im Landtag rangieren die Freien Wähler damit nicht in überparteilicher Höhe, sondern im Niemandsland.

Der häufigste Vorwurf im Maximilianeum, nicht nur seitens der CSU: Bei den Freien Wählern sei völlig unklar, wofür sie eigentlich stehen. Das stört Aiwanger nicht: »Der Wähler ist intelligenter, als die CSU es ihm zutraut«, sagt er.


10,2 Prozent

Die 1978 gegründeten Freien Wähler in Bayern sind eine der erfolgreichsten Wählergruppen Deutschlands. Erstmals traten die FW bei der Landtagswahl in Bayern 1998 an und erreichten dort 3,7 Prozent. Bei der Wahl 2003 konnte der Stimmanteil leicht auf 4,0 Prozent erhöht werden, der Einzug in den Landtag wurde auf Grund der Fünf-Prozent-Hürde jedoch erneut verpasst. Bei der Landtagswahl 2008 zogen die Freien Wähler schließlich mit 10,2 Prozent der Wählerstimmen und 21 Mandaten in den Bayerischen Landtag ein. (nd)

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