Besuch der Heuchler

Tunesien ein Jahr nach dem Sieg über Ben Ali

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Kolumne – Besuch der Heuchler

In Tunis wird man am heutigen 14. Januar ausgelassen feiern. Genau ein Jahr ist vorbei, seit Präsident Ben Ali und sein Clan das Weite suchten, leider unter Mitnahme eines Großteils des in 24 Jahren Herrschaftszeit zusammengerafften Milliardenvermögens. Weil der tunesische Umsturz die Volksmassen auch in anderen arabischen Staaten ermutigte, die Standfestigkeit ihrer lebenden Denkmäler abzuklopfen, und dies auch von dritter Seite hier und da nicht verhindert werden konnte, wird er heute als »Arabischer Frühling« oder gar »Jasminrevolution« geheiligt; selbst von jenen, die aufatmen, seitdem es in Arabien auch politisch Herbst und Winter geworden ist.

Wer da nicht alles mitfeiert. Besonders die Komplimente einiger hochrangiger Gäste sollten von den Tunesiern sehr mit Vorsicht genossen werden. Von der Stunde der Heuchler könnte man schon sprechen, wenn der westliche Nachbar, Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika, spricht. Wie aufrichtig kann dessen Glückwunsch an den tunesischen Amtskollegen eigentlich sein? Dieser, Moncef Marzouki, ist schließlich Exponent einer islamisch orientierten Partei, die bei den ersten freien Wahlen einen unangefochtenen Sieg feiern konnten. In Algerien schaffte das eine verwandte Partei, die Islamische Heilsfront, schon vor 20 Jahren. Zum Feiern kam sie allerdings nicht mehr. Bouteflikas alte Garde putschte, stahl der Heilsfront den schon sicheren Sieg, was zu einem Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten führte.

Und die anderen Araber? Am wenigsten verbiegen muss sich wahrscheinlich Katars Emir, Hamad bin Chalifa. Er kann von sich behaupten, mit seinem Haussender Al Dschasira Rebellen eine mediale Plattform gestellt zu haben - in Tunesien, später in Ägypten, noch mehr in Libyen. Und jetzt in Syrien, im Gleichklang mit seinem Nachbarn Saudi-Arabien, das die Unterdrückung der Opposition durch Damaskus und die Verbrechen des Assad-Clans gar nicht laut genug beklagen kann. Die Opposition in Saudi-Arabien selbst würde sich schon glücklich schätzen, genösse sie auch nur einen Bruchteil jener Freiheiten, die ihr König in Syrien mit so viel Verve einfordert. Nach Tunis kam kein Vertreter der saudischen Prinzengarde. Die Beziehungen sind vereist, seit König Abdullah der neuen tunesischen Führung bedeutete, dass er weder daran denkt, den auch per Interpol-Haftbefehl zur Fahndung ausgeschriebenen Ben Ali noch die von diesem geraubte tunesische Staatskasse auszuliefern.

Im Konzert der Heuchler sollte man die Stimmen der Europäer dennoch nicht vergessen. Auch sie sind beim Tag der Freude in Tunis zugegen und setzen unverfroren auf die milde Gabe der Vergesslichkeit ihrer Gastgeber - und die gewiss zutreffende Vermutung, dass deren Bedürftigkeit eher zu- als abnehmen wird. Da muss man ihn wohl nicht ablegen, den geliebten Oberlehrerton. Das Prädikat für Tunesiens neue Führung lautet: Sie sind »gemäßigte« - wenigstens das -, aber doch Islamisten. Und das klingt in deutschen Ohren weniger nach Jasmin und Religion als nach 11. September und Terror. Soll es auch.

Auch damit aber kann Frankreichs Spitzenposition in der Garde der Heuchler nicht erschüttert werden. Noch drei Tage vor Ben Alis Flucht hatte Paris diesem »geeignetes Gerät« angeboten, um Straßendemonstranten kleinzukriegen. Heute klopft man jenen Demonstranten auf die Schulter, als wäre nichts geschehen. Aber seine Gäste kann sich Tunesien wohl nicht aussuchen.

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