Richterin lehrt polnische Geschichte

Autoren des Kriegszustands 1981 als »bewaffnete Verbrechergruppe« verurteilt

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
In der vergangenen Woche hielt Ewa Jenoth, Richterin des Bezirksgerichts zu Warschau, eine Lektion zu Polens jüngster Geschichte.

In der Begründung ihres Urteils gegen die »bewaffnete Verbrechergruppe« - gemeint waren die Autoren der Ausrufung des Kriegszustands im Dezember 1981 - folgte sie voll und ganz der Behauptung des Staatsanwalts vom Institut für Nationales Gedenken (IPN), Piotr Piatek. Der hatte erklärt, die Generäle um Wojciech Jaruzelski hätten seinerzeit einen »Geheimbund«, ein »Komplott« gegen die »Solidarnosc«-Bewegung geschmiedet.

Der Prozess, in dem ursprünglich neun Mitglieder der Staats- und Militärführung Polens in den 80er Jahren angeklagt waren, dauerte vier Jahre. Nach insgesamt 47 Verhandlungstagen verurteilte das Gericht den jetzt 86-jährigen damaligen Innenminister General Czeslaw Kiszczak zu zwei Jahren Gefängnis, setzte die Strafe jedoch zu vierjähriger Bewährung aus. Eugenia Kempara, seinerzeit Mitglied des Staatsrates, wurde für schuldig befunden, doch sei ihre Tat verjährt. Stanislaw Kania, bis Oktober 1981 Erster Sekretär des ZK der PVAP, wurde freigesprochen. Wären der 88-jährige General Wojciech Jaruzelski, damals Partei- und Regierungschef, und der seinerzeitige Vereidigungsminister Florian Siwicki (87) nicht wegen anhaltender akuter Erkrankung vom Prozess verschont worden, beträfe auch sie das Urteil gegen Kiszczak, sagte die Richterin. Weitere Angeklagte sind inzwischen verstorben.

Das 1996 von einem Sonderuntersuchungsausschuss des Sejms angeführte Argument, die damalige Staatsführung der Volksrepublik Polen habe zur Vermeidung eines schlimmeren Übels in Form einer sowjetischen Intervention unter Bedingungen einer höheren Notwendigkeit gehandelt, wies Frau Jenoth zurück. Dokumente aus sämtlichen Staaten des Warschauer Vertrags, die die Möglichkeit einer Intervention ausgeschlossen hätten, seien ein glaubwürdiger Beweis für die Schuld, betonte die Richterin.

Sie räumte zwar ein, dass der Begriff »bewaffnete Verbrechergruppe« üblicherweise auf Gangster bezogen werde, doch in diesem Falle müsse klar sein, dass »jede Gruppierung zur Durchführung illegaler Handlungen« eine derartige Qualifizierung verdiene. Die Ausrufung des Kriegszustands durch ein Dekret des Staatsrates sei eben illegal gewesen. Es hätte dazu eines Sejmbeschlusses bedurft. Alle von der Verteidigung dazu vorgetragenen Argumente wurden vom Gericht abgelehnt.

Nach der Urteilsverkündung schlugen die härtesten »Freiheitskämpfer« aus den Reihen der Rechten Krach und riefen dem Gericht »Schande« zu. In der polnischen Öffentlichkeit dagegen, die in der Beurteilung des Kriegszustands vor mehr als 30 Jahren seit Langem gespalten ist, fand der Urteilsspruch keine besondere Beachtung. Bei aller Milde des Urteils sei die Hauptsache, dass die Autoren des Kriegszustands schuldig gesprochen wurden, erklärte der rechte IPN-Historiker Andrzej Paczkowski. So werde das Urteil in die Geschichte eingehen. Lech Walesa zeigte sich zufrieden, dass »man nun die Vergangenheit ordnet«. Man müsse sich der Zukunft zuwenden, solle »das da« in Erinnerung behalten, aber auch »versuchen, den ganzen Kontext zu verstehen«.

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