Referendum behindert?
Initiative zieht wegen Verfahrensfehlern beim Volksbegehren Grundschule vor Gericht
Die Initiative Volksbegehren Grundschule hat Verfassungsbeschwerde gegen den ehemaligen rot-roten Senat eingereicht. »Wir haben beim Verfassungsgerichtshof Einspruch erhoben«, bestätigte gestern der Anwalt der Initiative, Olav Sydow, auf einer Pressekonferenz. Sprecher der Initiative, Burkhard Entrup, wirft der Senatsverwaltung vor, das Volksbegehren behindert zu haben. »Hier hat es eine relativ massive Anhäufung von Verfahrensfehlern gegeben«, erklärt Sydow.
Vier Monate hatte die Initiative Zeit gehabt, um 173 000 Unterschriften für den Ausbau der Ganztagsgrundschule zu sammeln - konkret ging es um einen Hortplatz für Kinder ohne Bedarfsprüfung, kostenloses Mittagessen und individuelle Förderung. Aber nur 32 022 gültige Unterschriften waren gesammelt worden. Die amtliche Kostenschätzung ließ 98 Tage auf sich warten - deutlich länger als üblich. Damit konnte das Volksbegehren erst im Juli 2011 starten und nicht, wie geplant, zu Jahresbeginn. Das Problem dabei: Die Unterschriftensammlung fiel in den Wahlkampf sowie die Sommer- und Herbstferien - für ein Referendum zum Thema Bildung eine unglückliche Zeit. Laut Anwalt Sydow hat der Fristverstoß zu einer »massiven Beeinflussung« geführt. Nach Erkenntnissen der Initiative hat die zuständige Behörde offen über den Verstoß gesprochen. »Hier stellt sich die Frage des Vorsatzes«, sagt Elternvertreter Christian Johne. »Für uns galten Fristen, die vom Senat nicht beachtet wurden.«
Auch die Änderung des Titels des Volksbegehrens - kurzfristig und ohne Absprache - habe die Chancen der Initiative geschmälert. »Die Abstimmungsleiterin hat den Titel recht willkürlich festgelegt«, sagt Sydow. Statt einer eindeutigen Überschrift stand beim Volksbegehren Grundschule der Name der Initiative auf dem Abstimmungsbogen: »Grundschulkinder, leben und lernen in der Ganztagsschule, 1+ für Berlin«. Bei der Unterschriftensammlung habe man regelmäßig erklären müssen, um was es sich handele. »Das war überhaupt nicht vermittelbar«, kritisiert Uwe Hiksch von den NaturFreunden Berlin.
Hiksch sieht eine politische Dimension hinter den Verfahrensfehlern. »Wir haben den bösen Verdacht, dass ein Bildungsbegehren nicht gewollt war«, sagt er. Denn auch den Einführungstext der Initiative habe die Landeswahlleiterin abgelehnt - damit sei der Bezug zur Bildungspolitik verloren gegangen. »Es hatte ja mit der Schulreform zu tun, Hortplätze einzufordern und die Ganztagsschule mit Mittagessen für alle Kinder«, sagt Johne. »Wir stehen hier, um einen Senatsbeschluss Realität werden zu lassen.« Die Initiatoren zeigen sich optimistisch, dass dies noch möglich ist. »Wir denken, dass das Gericht das ähnlich sieht«, erklärt Hiksch. Würde die Initiative Recht bekommen, ginge das Volksbegehren in eine zweite Runde.
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