Es braucht Gegenangebote zur Veränderung der Welt
Der Terror von rechts rüttelt auf - aber er weckt auch den alten Geist der Bewahrung
In Deutschland (Ost und West) stellen die zurzeit die Politik der Bundesrepublik beherrschenden Kräfte fest, da sei eine Gefahr aufgekommen, die von rechts her das demokratische Gefüge der Republik bedrohe. Auch zahlreiche Wirtschaftsverbände - vor allem aus Finanz- und Exportbereichen - registrieren plötzlich den Umlauf gefährlicher (ideologischer) Viren, die Hirne befallen und dadurch gefährliche politische Verhaltensstörungen auslösen. Eine weitere Verbreitung dieser politischen Erkrankungen, so verlautet, könne vor allem das internationale Renommee der deutschen Wirtschaft, das heißt Investitions-, Forschungs- und Umsatzinteressen gefährden.
Neofaschismus, Rassismus, Nationalismus, Rechtsextremismus - all dies findet nunmehr legitime Aufnahme im allgemein gebräuchlichen Politsprachgebrauch. Und all diesen -ismen soll nunmehr der Kampf angesagt werden. Sogar mit viel Geld, das gleichwertig mit justiziabler und polizeilicher Aufrüstung sozial- und pädagogisch-präventiv eingesetzt werden soll.
Doch ist offensichtlich immer noch nicht ausreichend ins Blickfeld geraten, warum so viele, vor allem junge Menschen für diese ideologischen Viren empfänglich sind, warum aus einer partiellen, schon seit Längerem zu beobachtenden politischen Verseuchung jetzt auf einen Schlag und substanziell ein die gesamte Republik bedrohender Gefahrenherd geworden sein soll.
Bilder zur Aufklärung?
Zwar erfährt man jetzt mehr über die Auftritte pöbelnder, grölender, glatzköpfiger Totschlägerhaufen in Springerstiefeln und in Ängste produzierender Kampfkostümierung. Die Bilder von Aufmärschen und Versammlungen der rechten Kameraderie sind einprägsam. Man gelangt per Kamera in Wirtshaussäle, vor allem in Kleinstädten, begegnet dort Bier trinkenden Biedermännern und altfränkisch frisierten Frauen, die frenetisch klatschen, wenn von deutscher Leitkultur gefaselt und perfide Sprüche abgelassen werden, die Minderheiten niedermachen. Man wird mit dreisten, völkischen Parolen in Frakturschrift konfrontiert, mit Reichsadlern auf weiß-schwarzen Stirnwandtransparenten. Hakenkreuze und Hitlerporträts geistern durchs Internet. Es werden aufgeregt oder cool Jahresstatistiken veröffentlicht, in denen, mit häufig unterschiedlicher Zahlenangabe, mitgeteilt wird, wie viele vor allem dunkelhäutige Ausländer (Immigranten), aber auch sozialkranke Menschen bereits von den »Deutschland-erwache«-Epigonen krank- oder totgeschlagen wurden.
All diese Informationen sind, auch wenn sie mit eigentümlicher Verspätung jetzt erst massenhafte Verbreitung erfahren, unerlässlich und zu begrüßen. Aber es stellt sich zugleich die Frage: Seit wann gibt es diese schwärende, infektiöse Wunde in unserer Gesellschaft? Hat es nicht schon vor Jahrzehnten Warnungen und Proteste gegen rechtslastige Organisationen und deren ideologische Einflusssphären gegeben? Gab es nicht schon Anfang der 70er Jahre in Westdeutschland »Rock gegen rechts«? Wurde nicht schon seit Jahren mit diversen Antifademos und Aufrufen, mit langen Unterschriftenlisten, begleitet von ebenso langen Lichterketten, versucht, Aufmerksamkeit gegen rechtsextreme Formierungen im republikanischen Alltag herzustellen? »Wehret den Anfängen«, wie lange schon wird dazu aufgerufen?
Aber da ja diese Mahnungen und Aufklärungs- und Protestaktivitäten weitgehend von links her kamen, empfanden die politisch herrschende Klasse und deren ideologisches Hegemoniegefolge dergleichen mehr als linkstypische, hypertrophische Übertreibung. Häufig war bei den Berichten über rechts-stimulierte Gewalttaten von politisch und psychisch verwirrten Einzeltätern die Rede. Polizei und Gerichtsbarkeit stellten danach auf ihre Weise den bundesrepublikanischen Bürgerfrieden wieder her. So konnte das Thema, so es da und dort doch mal Schlagzeilen auslöste, bald wieder in der Versenkung verschwinden.
Damit dies nicht wieder geschieht, muss auch die gesellschaftliche Linke sich noch gründlicher mit Ursachen und Wirkungen des Rechtsextremismus beschäftigen. Dazu ein paar Überlegungen.
1. Wir leben mit einer Wirtschaftsverfassung, in der überwiegend härteste Konkurrenz, das heißt die Durchsetzung des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren, als Wirtschaftsprinzip gilt. Ist es da nicht naheliegend, dass dieses in das gesellschaftliche Leben eindringt, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem die Menschen und ihr individuelles und kollektives Verhalten mitbestimmt?
2. Teilt sich eine solch stringente gesellschaftliche Zurichtung nicht am eindringlichsten und nachhaltigsten denjenigen in der Gesellschaft mit, die zusätzlich in einer gefährdeten sozialen Situation leben? Viele dieser sozial Deklassierten empfinden sich als Unterlegene im sozialen, gesellschaftlichen Gefüge. Über sie wurde und wird weiterhin von oben herab verfügt. Das erzeugt verinnerlichte Maßstäbe und erzeugt Nachahmung. Ergibt sich daraus nicht fast zwangsläufig eine hohe Empfänglichkeit für die Anwendung von Gewalt als Handlungsprinzip gegen den noch Schwächeren?
Kollektive Deformation
3. Kann die menschliche Psyche auf Dauer in einem Zustand von Ödnis, von Trostlosigkeit existieren, verharren? Ohne emotionale Ernährung, Zuwendung und Behausung? Sind nicht viele Menschen in dieser Gesellschaft (auch die in einem stupiden Arbeitsverhältnis Tätigen), psychisch Outlaws geworden und gieren nach Zuflucht? Die kollektiven Angebote rechter Kameradschaftszugehörigkeit oder auch nur die Einordnung in einer rabiaten Saufclique eröffnen dazu Möglichkeiten. In solchen Verbänden transformieren sich Gefühlsstauungen und Deformationen dann zum kollektiven aggressiven Handeln, zu brutalen Ausbrüchen aus einem gesellschaftlich trostlosen Zellendasein.
4. In eine solche psychische Disposition passt die gemeinsame Suche nach Feindbildern. Die bundesrepublikanische Gesellschaft hat genügend alte Feindbilder vorgehalten, verwendungsfähig angepasst (modernisiert) und besitzt genügend Vermittlungsstellen und Schnittpunkte. Denn in Deutschland hat sich seit 1945, - besonders gefördert in Kalter-Kriegszeit - im Kontext mit der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Restauration eine ausreichende rechtskonservativ bis präfaschistoide Grundsubstanz und -stimmung erhalten (können).
Dagegen hatte eine links orientierte emanzipatorische Alternative in Westdeutschland unter solchen Bedingungen und zusätzlich gelähmt durch die bürokratischen Deformationen des »realen Sozialismus« keine gesellschaftlich ausreichend wirksame Orientierungs- und Interventionskraft. Die linken Aufbrüche Ende der 60er Jahre, die gesellschaftskritischen Reflexionen und Versuche emanzipatorischer Lebensformen, sie sind dagegen nur bedingt und partiell in die Tiefe der herrschenden Gesellschaft eingedrungen oder bereits an deren Oberfläche verflacht.
Und nun erleben wir aktuell eine perfide Kampagne gegen die überkommenen Reste einer linken, emanzipatorischen Lebens- und Demokratiekultur. Und teilweise ein feiges Abtauchen und Entschuldigungsgestammel von Teilen ihrer früheren Trägerschaft, vor allem der 68-er.
Und es wird ein Programm für Aussteiger aus der rechten Szene aufgelegt. Aber wohin sollen denn die möglichen Aussteiger dann gehen, wenn sie aussteigen? Sollen sie wieder zurückkehren in eine bundesrepublikanische Wirklichkeit, aus der sie ja zuvor nach rechts geflohen sind? Was also fehlt, ist eine progressiv-alternative, kurz eine gesellschaftskritische Jugendkultur als Gegenkraft. Es ermangelt eines Zuflucht- und Integrationsraumes, der frustrierten und suchenden Geistern eine (Gegen-)Orientierung in einer durch und durch materialisierten und brutalisierten Welt gibt. Mit Möglichkeiten, dort zu lernen, dass die Welt zum Besseren hin veränderbar ist. Dass man daran mitwirken kann und dass das sogar vergnüglich sein kann.
Heimliche Diffamierung
5. Jedoch - wer genauer hinhört, kann bei der neuen, allerdings sehr gemischten Kämpfertruppe gegen den Rechtsextremismus nun auch Töne hören, die etwas noch ganz anderes mit ihrer politischen Gefahrenabwehr befördern möchten. Bei der Diskussion über ein NPD-Verbot verweisen diese Demokratiebeschützer darauf, dass die NPD auch deshalb verboten werden müsste, weil sie gesellschaftliche Veränderung anstrebe. Es ist nicht uninteressant, dass das NPD-Programm Passagen enthält, die offensichtlich aus dem pseudo-antikapitalistischen Programm der NSDAP von 1926 abgeschrieben sind.
Es verdient also Aufmerksamkeit, dass solche antikapitalistisch eingestimmten NPD-Phrasen dafür herhalten sollen, Veränderungswillen zu diffamieren, das herrschende Wirtschaftssystem mit dem Schutz der Verfassung der Bundesrepublik zu ummanteln. Die Intentionen bestimmter politischer Kräfte in der Bundesrepublik sind also darauf gerichtet, eine demokratische Umgestaltung der Wirtschaft als verfassungswidrig zu erklären. Sie streben also an, dergleichen in einem Aufwasch mit einem NPD-Verbot zugleich zu erledigen. So droht eine Kampagne zur Abwehr des Rechtsextremismus sich mit einem Angriff auch auf linke, auf gesellschaftliche Umgestaltung zielende Programme und ihre Trägerschaft zu bündeln.
»Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert.
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert -
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«
Bertolt Brecht in: »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.