Volksbefragung soll Bolivien befrieden
Neuer Ansatz für die Lösung des Konflikts um den Straßenbau durch den Nationalpark TIPNIS
Boliviens Präsident Evo Morales steht zwischen den Fronten: Unter indigenen Gruppen gibt es ebenso vehemente Befürworter wie strikte Gegner des Baus einer Straße durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS). »Vier Tage haben wir den Vorschlag der 40 Gemeindevertreter in eine Gesetzesvorlage umgearbeitet«, stellte am Montag Senatspräsidentin Gabriela Montaño das Projekt für eine Volksbefragung vor. »Das wäre eine ausgezeichnete Lösung«, glaubt Vizepräsident Álvaro García. Entscheiden müssten »die Brüder, die in den Gemeinschaften leben«, und nicht deren Vertreter aus den Städten oder Umweltorganisationen, die ständig »ins Ausland reisen«.
Nach einem Parlamentsbeschluss blieben 120 Tage für die Organisation der Volksbefragung. Deren Ergebnis ist laut Gesetzentwurf bindend für die Entscheidung, ob durch TIPNIS eine Straße gebaut wird oder nicht.
Damit geht die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) auf Befürworter des Straßenbaus ein. Nach einem 40-tägigen Marsch waren vergangene Woche rund 3000 indigene TIPNIS-Bewohner in La Paz angekommen. Für die Straßenbaubefürworter, die im Nationalen Indigenen-Verband Süd (CONISUR) organisiert sind, ist die Befragung ein Erfolg. Von der MAS-Administration waren die CONISUR-Vertreter herzlich empfangen worden. Der Ausbau der Infrastruktur ist schließlich ein Wahlversprechen der MAS. Bolivien mit 10 Millionen Einwohnern und der dreifachen Fläche Deutschlands verfügt über nur 17 000 Kilometer Fernstraßen. Noch im Oktober aber hatte Präsident Morales auf Druck von Gegnern der Straße den Bau der 306 Kilometer langen Trasse im Regenwald gestoppt. Der Naturpark - halb so groß wie Hessen - wurde durch die »Ley Corta Nr. 180« zur »unberührbaren Zone« erklärt.
Der mit einem 332-Millionen-Dollar-Kredit der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES finanzierte Straßenbau soll die Departamentos Beni im Tiefland und Cochabamba im Hochland verbinden. Nun befürchten die Gegner des Straßenbaus die Rücknahme des Schutzdekrets. Ebenfalls zu Fuß, von einer Allianz internationaler Umweltschutzorganisationen unterstützt, hatten hunderte TIPNIS-Bewohner vom Verband der Tiefland-Indigenen (CIDOB) 2011 zum Marsch auf La Paz geblasen. Holzeinschlag, Koka-Anbau und Besiedlung seien für den Wald der »Todesstoß«, mahnten die »Verteidiger des TIPNIS«. Die Route, Teilstück des kontinentalen Infrastrukturprogramms IIRSA, würde allein Brasilien nützen. Kurz vor den ersten Richterwahlen im Dezember war die TIPNIS-Frage für Morales zum politischen Risiko geworden.
Längst ist das Andenland Schauplatz eines Ressourcenkonflikts neuen Typs. CIDOB ist Speerspitze professioneller Umweltschutzorganisationen wie der Stiftung der Naturschutzfreunde (FAN), die in den Startlöchern eines Rennens um die Zuteilung internationaler Klimaschutzmillionen stehen. Sollte Bolivien sein Nein zur Vermarktung von CO2-Rechten aufgeben, ist TIPNIS Kandidat des lukrativen Geschäfts Waldschutz gegen Dollars. CIDOB kooperiert in Sachen »alternative Entwicklung« eng mit Washingtons Entwicklungsbehörde USAID. Und FAN, kontrolliert von der Tiefland-Wirtschaftselite der Oppositionshochburg Santa Cruz, kassiert kräftig Gelder von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Europäischen Union sowie diversen Öl-, Energie- und Chemiemultis wie BP und Dow Chemical. Das Millionengeschäft wollen sich die TIPNIS-Verteidiger nicht vermasseln lassen. Nicht von Morales, nicht durch eine Straße.
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