Der CDU beinahe aufs Dach gestiegen
Zweiter Parlamentariertag der LINKEN in Kiel
Das Wetter kann der demonstrativen Hochstimmung der linken Gemeinde heute nichts anhaben, es ist kalt und trocken, ein Bombenwetter für Revolten. Ein langsam wachsender Trupp von LINKEN hat sich am Donnerstagvormittag in Kiel an der CDU-Landeszentrale versammelt, um ihr aufs Dach zu steigen. Noch scherzt André Brie, gern als Vordenker der LINKEN bezeichnet, heute ist er Vorturner. Auf einer Hebebühne schwebt er schließlich in Richtung Dach. Irgendwie geht es nicht weiter da oben, also schwebt er wieder herab und und dann wieder herauf, das Transparent wird schließlich neben dem Gebäude entrollt. »Schuldenbremse bedeutet Abbau von Lehrer-Stellen. Danke an CDUSPDFDPGrüne!«
Irgendwie holpert es derzeit bei der Linkspartei, aber die besten Forderungen hat immer noch sie. So könnte man die Kommentare der umstehenden Genossen werten. Die Vorübergehenden nehmen den Auflauf, der von einer Trommlergruppe begleitet wird, dagegen erstaunlich gleichgültig zur Kenntnis. Oben in einem Fenster der CDU hat jemand gefilmt, im Eingang der Parteizentrale sieht man lachende Gesichter. Es ist halt nicht so einfach mit der Eroberung der Öffentlichkeit.
Brie hatte zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im letzten September die Rügenbrücke lahmgelegt, jetzt ist er Wahlkampfchef in Schleswig-Holstein für die Wahl am 6. Mai. Derzeit gilt der Ausnahmezustand für die Parteien. Und die LINKE muss gegenüber derzeitigen Umfragen weit mehr als ein Prozent zulegen, um wieder in den Landtag einzuziehen.
Eigentlich steht am Donnerstag nicht diese Aktion im Vordergrund, sondern Aktionäre. Zumindest mittelbar. Die Partei hat für zwei Tage alle verfügbaren Abgeordneten aus Landtagen, Bundestag und EU-Parlament aufgeboten, um ihren zweiten Parlamentariertag zu absolvieren. Die Demokratisierung der Gesellschaft ist wie schon beim ersten Treffen dieser Art vor Jahresfrist in Magdeburg Thema in Reden und Workshops. Es geht teilweise akademisch zu, wenn Gregor Gysi, Fraktionschef im Bundestag, von der Demokratie als einer »entwicklungsoffenen Angelegenheit« spricht, den Begriff der »sozialen Marktwirtschaft« durch »soziale Demokratie« ersetzen will. Und teilweise fängt der Wahlkampf an zu rumoren, wenn Oskar Lafontaine, der saarländische Fraktionschef, der Diktatur der Finanzmärkte den Kampf ansagt. Die Finanzmärkte führten einen Krieg gegen die Völker, nichts weniger - »es geht um Landnahme, es geht um Infrastruktur, um Vermögen«.
Die Abgeordneten aus den bereits eroberten Parlamenten sind dankbar für die klare Einteilung der Welt in Gut und Böse. Die LINKE habe die Krise der Demokratie vorausgesagt und habe jetzt die Antworten zur Lösung des Problems, so Lafontaine. Ein öffentliches Bankensystem müsse geschaffen werden, ein Schuldenschnitt erfolgen, aber so, dass nicht die Steuerzahler die Zeche zahlen müssten. Eine Millionärssteuer würde das nötige Kapital herbeischaffen. Privatvermögen in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen - »ist es Brutalität oder Unverstand, ich weiß es nicht« - lade die Schulden auf den ohnehin Benachteiligten ab. Lafontaine: »Merkel ist dabei, Europa zu zerstören!«
Alles klar, aber wie münzt man das in Zustimmung der Menschen um, für deren Rechte in der Demokratie man sich hier den Kopf zerbricht? Lafontaine ruft die Partei dazu auf, die SPD vor der Bundestagswahl »zu stellen«. Diese sei unter den jetzigen Umständen kein Partner für die LINKE - so lange es bei der Rentenkürzung bleibe, so lange sie bei kosmetischen Korrekturen für Hartz IV bleibe, so lange sie nicht konsequent gegen den Niedriglohn in Deutschland vorgehe. Die SPD stellen, das wäre ja schon mal was. Auf geht's!
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