Beneidenswerter Kurzarbeiter

Herthas BSC sucht ausgerechnet gegen Meister Dortmund den Ausweg aus der Krise

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 2 Min.

René Tretschok ist zu beneiden. Im Gegensatz zu seinen Trainerkollegen in der Fußball-Bundesliga weiß er, dass er bald seinen Posten räumen muss. Und dass er weich fällt. Der Interimstrainer von Hertha BSC wird spätestens nach zwei Spielen wieder die U19 betreuen, wahrscheinlich schon nach dem heutigen Spiel, und niemand erwartet einen Sieg von ihm. Ausgerechnet Meister und Tabellenführer Borussia Dortmund ist im Berliner Olympiastadion zu Gast, der Verein, mit dem Tretschok die Champions League gewann. Ausgerechnet heute steht das 1000. Bundesligaspiel der Hertha an. Ausgerechnet heute ist das Stadion erstmals in dieser Spielzeit ausverkauft. Tretschok meint zu all dem nur: »Interessiert mich nicht.« Beneidenswert.

Dabei stehen die Chancen auf ein überraschendes Erfolgserlebnis der Berliner gar nicht so schlecht, wie man meinen möge. Mit Ausnahme der 0:5-Blamage in Stuttgart spielten sie bei jeder der fünf Niederlagen unter Ex-Trainer Michael Skibbe durchaus gefällig mit, waren meist die spielerisch bessere Mannschaft, nur eben nicht die erfolgreichere. Und Dortmund muss neben Nationalspieler Mario Götze nun auch auf dessen verletzte japanische Dribbelkopie Shinji Kagawa verzichten.

So sieht Tretschoks Gegenüber Jürgen Klopp Dortmunds Sieg wegen des Trainerwechsels bei der Hertha auch längst nicht als sicher eingefahren: »Es hat viele Fälle gegeben, in denen Mannschaften danach ganz anders aufgetreten sind.« Ein derartiger Vorgang könne »Kräfte freisetzen«, sagte Klopp, der damit unfreiwillig jener Praxis Argumente lieferte, die seinesgleichen in Phasen des Misserfolges reihenweise schnell den Job kostete.

Klopp und Tretschok interessiert das aber nicht. Der Dortmunder verlängerte kürzlich seinen erst in zwei Jahren auslaufenden Vertrag beim BVB vorzeitig bis 2016, auch wenn solche Verträge heutzutage selten erfüllt werden. Und Tretschok fehlt die nötige Lizenz, um länger als 15 Werktage im Amt zu bleiben. Spätestens dann heißt Herthas neuer Trainer Balakow oder Doll oder Sverrisson oder ...

Dem Berliner Interimstrainer zufolge seien seine Spieler voller Ehrgeiz und Euphorie: »Alle Spieler geben seit Dienstagmorgen um 10 Uhr Gas.« Dabei ist zu vermuten, dass sie sich nicht dem neuen Trainer Tretschok empfehlen wollen, sondern dem ganz neuen, der das Dortmund-Spiel womöglich schon von der Tribüne im Olympiastadion verfolgen wird. »Die Fans werden uns kämpfen sehen«, prophezeite Kapitän André Mijatovic. Das dürfte dann wohl auch René Tretschok interessieren.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.