Zu alt, zu jung

Heute wird der Schauspieler Henry Hübchen 65

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Hübchen in »Jakob der Lügner«
Hübchen in »Jakob der Lügner«

Er ist ergraut. Ein Mann im Alter der Melancholie. Den Tango hat nicht mehr allzu kräftig in den Beinen, aber dafür umso mehr in den Gesichtszügen. So jedenfalls sagt er es auftrumpflustig in Andreas Dresens Film »Whisky mit Wodka« - als jener Schauspieler, der so traurig-trotzig wie vergeblich um seine wacklig gewordene Star-Position kämpft. Ein Glanzpart. Henry Hübchen, lange Zeit Star an Berlins Volksbühne, ist in den letzten Jahren auch ein Star des deutschen Volksfilms und des deutschen Volksfernsehens geworden - etwa als Commissario Laurenti oder als Jackie in Dani Levis »Alles auf Zucker«.

Die Trauerränder des Lebens - bei ihm sind sie mit Comic-Einlagen, mit jungenhafter Ruppigkeit wunderschön schillernd eingefärbt. Der naive Junge Henry war einst nur bekannt aus der zweiten Reihe von DDR-Volksbühnenaufführungen und »Polizeiruf 110«-Filmen. In Frank Beyers großem DEFA-Erfolg »Jakob der Lügner« blitzte plötzlich Tieferes im Spiel auf. Vorher hatte er über längere Zeit viel Zeit; und statt Theater zu spielen, surfte er sich lieber zum DDR-Meister im »Brettsegeln«, komponierte Hits für die Gruppe »City«. Volksbühnen-Regisseure wie Heiner Müller und Fritz Marquardt misstrauten Hübchen stets ein wenig, sie benutzten hauptsächlich nur die Folie des schönen Jünglings.

Geboren wurde er 1947 in Berlin-Charlottenburg. Sohn eines Konstrukteurs und einer Buchhalterin. Ahnenforschung betrieb er und vermutet Wurzeln in der Gilde deutscher Tagelöhner. Das ist er dann selber geworden, bei seinem Quälmeister Frank Castorf. Der in den letzten Jahren neue Protagonisten ausprobierte - die Volksbühne ist Clan, aber auch ein Wegbeiß-Pflaster. Irgendwann machte Hübchen nicht mehr alles mit. Nahm sich Leitwolf-Rechte, Auszeiten für Filme. Das Theater verlor ihn schließlich ganz.

Unterm Eisenwarenhändlersohn Castorf war Hübchen zu einem Erstklassigen geworden - der nicht in seinen Gestalten verschwindet, sondern sich selbst als authentische Person behauptet - ehe er dann in den Clinch mit einem Stück geht. Hübchen spielt nicht Figuren, er spielt mit ihnen.

Er ist Ostler, gemacht also aus verhunztem genetischem Material, so wie es die Castorfianer in »Golden fließt der Stahl/ Wolokolamsker Chausee« vom arbeitsscheuen Ostdeutschen sangen: »Ich lieg um zehn noch auf der Matte/ Und ratz mir einen weg/ Draußen kommt der Westler/ Und recycelt meinen Dreck/ Er macht ne Menge Kohle/ Und denkt er ist hier King/ Und wenn er abends umfällt/ Hört er wie ich sing// Er hört nicht auf zu schuften/ Was für ein armes Schwein/ Versuchs doch mal mit Hungerstreik/ Auch du kannst Ostler sein ...« Das ist sie, die Lebens- und Arbeitsphilosophie an Oblomows Volksbühne.

Als Ostler rutscht man auf Berliner Kartoffelsalat aus, nicht auf Bananen (»Pension Schöller/ Die Schlacht«). In der Rolle des Provinzlers Philipp Klapproth spielte sich Hübchen 1994 auf einen Höhepunkt jüngerer Theatergeschichte. War ein aufgedrehter Clown des Slapstick und fiel im nächsten Moment in bemitleidenswerte Sanftheit. Der Theateressayist Benjamin Henrichs beschrieb ihn als »ärmstes aller deutschen Würstchen und doch auch wahren Schmerzensmann, ein heiliger Märtyrer des Kleinbürgertums - der Obersatyr in Castorfs ewiger Bockskomödie«.

Wenn er als Fabrikant in den »Webern« oder als Professor in den »Dämonen« oder als Parteichef in den »Schmutzigen Händen« ins plusternde Philosophieren kam, so schwang stets eine erzürnte Menschlichkeit mit, eine erniedrigte Sehnsucht nach Würde. Hübchen verkörperte am konturensichersten den Charme der Castorf-Akteure. Dieser beruht auf einer verhedderungsfreudigen Feier des Vorläufigen. Im lässigen Chaos freilich auch: Spuren vom nervigen Kampf, den alle Proben kosten; Schmerzen der Leere und der gegenseitigen Bedrängungen.

Der Volksbühnen-Chef bewundert das »Körperlich-Musikalische« an Hübchen, auch jene Schnelligkeit, die keine Furcht hat, oberflächlich zu sein. Da ist Grenzüberschreitungslust - in der Hoffnung, bloß nicht dort anzukommen, wo etwas richtig, wohlgefällig, eingängig sein könnte. Theater, befreit vom Makel der Reinheit und des Seufzers vom ach, so schönen Gedanken. Aber stets, so Castorf, sei es dieser doch so ordnungslose Hübchen gewesen, der einem Theaterabend, einem jeweiligen Spieltrupp »Stabilität und Qualität« gegeben habe.

Castorfs erste Arbeit mit Hübchen fand zu DDR-Zeiten in der Prärie statt, genannt Anklam, »die treuesten Zuschauer waren fortan Stasispitzel, die immerhin den Mut hatten, ihre Dummheit dem Theater auszusetzen«. Hübchen spielte den Ehemann in »Nora«, da sei er ihm schon sehr nah gewesen, sagt Castorf, »da offenbarte sich, was auch mich prägt, dieser ewige Kleinbürger, der gern anders sein möchte, der alle Liebenswürdigkeiten dieser Welt hat, aber auch alle totalitären Veranlagungen, um anderes Glück zu zerstören«.

Vor Jahren brachte Castorf mit der »Stadt der Frauen« seine Liebe zu Fellini auf die Bühne. Das Leben als dessen Rimini: Provinzgeisterstadt - wer geht, hat gewonnen. Aber keiner geht; die Physik der trägen Ohnmacht setzt die besten Energien frei. Henry Hübchen als Ebenbild des melancholischen Mastroianni. Man sah ihn und wusste: zu alt für jedes Spielzeug - aber zu jung, um eine solche Wahrheit wirklich ernst zu nehmen. Das stimmt noch heute, da Henry Hübchen 65 wird.

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