Menschen, überall Menschen
»Rheingold« in München: Andreas Kriegenburgs und Kent Naganos »Ring«-Auftakt überzeugt
München und der »Ring des Nibelungen« - das ist eine Geschichte für sich. Mit einem Problemkapitel im 19. Jahrhundert, wo der wagnerverrückte König Ludwig II. die Uraufführung des »Rheingolds« (und der »Walküre«) gegen den Willen seines Komponisten-Idols in seiner Residenzstadt über die Bühne gehen ließ. Und mit einer späten Fortsetzung, als der mit dem »Ring« schon von Brüssel her vertraute Bühnenbildner und Regisseur Herbert Wernicke nach seiner Neuinszenierung des »Rheingolds« plötzlich starb. Er hatte die diffizile Beziehung zwischen dem Wagner-Gral Bayreuth und der Wagner-Hochburg München schon im Bühnenbild miteinander verschränkt. Das ließ sich von fremder Hand nicht fortsetzen. So erhielt David Alden die Chance, seine (wie man es auswärts gerne nennt) Eurotrash-Version der Tetralogie auf die Bühne zu bringen.
Mit einem gut kalkulierten Risiko geht der Münchner Staatsopern-Intendant Nikolaus Bachler jetzt an eine »Ring«-Neuauflage heran. Sie soll bis Juni 2012 stehen, ist also im Wagner-Jahr 2013 schon erprobt und gut vorzuzeigen. Musikalisch liegt das Großprojekt in den Händen des scheidenden GMD Kent Nagano.
Die Erwartungen an einen neuen Jahrhundert-»Ring« sind nicht zu erfüllen. In diesem Ruf steht wegen der exemplarisch gelungenen Kapitalismuskritik zum Wagner-Sound notorisch Patrice Chereaus Bayreuther Wurf von 1976, der seinerseits Joachim Herz' Leipziger Vorlage gefolgt war. Der auch in der Oper erfolgreiche Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg räumt in Harald B. Thors nüchternem Bühnenkasten aus beweglichen Wänden alles beiseite, was den Rhein, Nibelheim oder Walhall historisch konkret offenbaren würde. Stattdessen sucht er nach den Orten, Zuständen oder Zwängen, die bei Wagner in märchenhafter Gestalt auftauchen, in uns oder unter uns Menschen von heute.
Wenn sein die gesamte Bühne schon vor Beginn bevölkernder Bewegungschor die Sachen ablegt, sich mit blauer Farbe beschmiert und dann als Rhein vor sich hin wogt, erzeugt das einen originellen Effekt. Wenn diese Darsteller dann als dreckverschmierte Nibelungen Erz schleppen, manche zusammenbrechen und offenbar sofort entsorgt und verbrannt werden, oder die Urmutter Erda bei ihrem Auftauchen von archaischen Lemuren umspielt wird, ist das als Menschentheaterbild durchaus eindrucksvoll.
Als dann die Riesen Fasolt und Fafner auftauchen - die einzigen, die in der ganzen Tetralogie einer schweren, wertbildenden Bau-Arbeit nachgehen -, um den vereinbarten Lohn einzufordern, thronen sie auf Menschen-Würfeln. Geronnene Arbeit so in ein Bild von zusammengepressten Kreaturen zu übersetzten, das hat dialektischen Witz.
Der große (entscheidende) Rest freilich ist eine Personenregie, bei der die Götter als kleinkarierte Möchtegern-Herrscher dastehen (was ja in den besten Bundesrepubliken vorkommen soll), auf einander losgehen und am Ende nur noch mit letzter Kraft den Schein wahren. Dieser Wotan (Johan Reuter) jedenfalls schafft es nur noch, den Fuß über die Schwelle seines neuen Eigenheims zu setzten, wenn ihn seine Sippschaft stützt. Und er muss obendrein aufpassen, dass er nicht in die Grube stürzt, in der die Goldbarren verschwunden sind, mit denen er die für das Anti-Aging der Götter zuständige Freia freikaufte.
Dass man sich in München kurzfristig Johannes Martin Kränzle als Alberich ausborgen musste, bescherte dem Abend die überzeugendste sängerdarstellerische Leistung. Vom guten Münchner Ensemble prägten sich zudem der exzellente Loge von Stefan Margita und aus der blonden Göttersippe die Freia von Aga Mikolaj besonders ein.
Kent Nagano schließlich machte am Pult des Bayerischen Staatsorchesters ein erstaunlich sinnliches, die Sänger meist gut einbettendes Wagner-Ereignis. Es wurde mit Jubel bedacht, der, ganz wagnerunüblich, auch das Regieteam einschloss.
Premiere »Die Walküre« am 11.3.
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