Senat hält V-Leute für unverzichtbar
Verfassungsschutz soll weiter mit Spitzeln arbeiten, LINKE fordert deren Abschaffung
Sein Tagesgeschäft betreibt der Berliner Verfassungsschutz mit öffentlichen Quellen. »Rund 80 Prozent der Informationen«, sagt der Dienstherr der Berliner Verfassungsschutzabteilung, Innensenator Frank Henkel (CDU), »werden aus offenen Quellen geschöpft.« Das heißt: Mitarbeiter der 188-köpfigen Behörde sichten Zeitungen, werten das Internet und Behördendaten aus oder studieren Flugblätter. Die restlichen 20 Prozent der Informationen des Verfassungsschutzes stammen demnach jedoch aus verdeckten Quellen: Telefonüberwachungen, Observationen oder eben von verdeckt arbeitenden Informanten.
»V-Leute«, betont Henkel jüngst im Verfassungsschutzausschuss des Landesparlaments, »bleiben ein wichtiges nachrichtendienstliches Mittel.« Die Berliner Abteilung des Verfassungsschutzes will deshalb auch künftig an den sogenannten verdeckten Verbindungs- oder Vertrauenspersonen festhalten. Mit derzeit einer Ausnahme: »Wir haben keine V-Leute in den Führungspositionen der NPD«, sagt Henkel. Da verhalte man sich konform zu einem angestrebten rechtssicheren NPD-Verbotsverfahren. Gänzlich neu ist das indes nicht, bereits unter Henkels Vorgänger, Ehrhart Körting (SPD), zog das Land Berlin seine V-Leute aus der Spitze der rechtsextremen Partei ab. Als das »neue deutschland« dies Anfang 2009 publik machte, war der Aufschrei insbesondere unter CDU-Innenpolitikern allerdings groß. Über V-Leute spricht man nicht, hieß es. Das sei ein Tabu. Nach den neun Morden der Neonazi-Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) gibt es jetzt so viel Verunsicherung, Zweifel und offene Fragen zu möglichen Verwicklungen des Verfassungsschutzes, dass das Thema V-Leute im März auf einer Sonderkonferenz der Innenminister behandelt werden soll. Um Dinge und Abläufe zu optimieren, heißt es.
Doch nicht nur auf Bundesebene stellt sich die Frage nach dem Sinn von V-Leuten? Denn auch wenn sie nicht in Führungspositionen sitzen, werden natürlich auch durch den Berliner Nachrichtendienst Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt, aber auch aus linksradikalen Zusammenhängen und islamistischen Zirkeln. Berlins Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid ist es in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass man in der Frage der V-Personen »keinesfalls willkürlich« handele, sondern anhand der Gesetze. In Berlin gebe es sogar vergleichsweise strenge Vorgaben für den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln. »Bei jedem Einzelfall muss genau geprüft werden, ob das Mittel eingesetzt werden kann«, sagt Schmid. Es sei auch »absoluter Quatsch«, dass die 16 Landesämter konfus nebenher arbeiten. Stattdessen gibt es eine umfassende Koordination, etwa auf einem jährlichen Abstimmungsgespräch zum Einsatz von V-Leuten.
Mag sein, dass der im Jahr 2001 nicht zuletzt ebenfalls wegen einer Reihe von V-Leute-Skandalen massiv reformierte Berliner Verfassungsschutz akribischer arbeitet. Dennoch haben Berliner Abgeordnete Zweifel. »Wir fordern, V-Leute gänzlich abzuschaffen«, sagt Hakan Tas von der Linkspartei. Wie andere Abgeordnete auch hat er derzeit viele Fragen zur V-Leute-Praxis in Berlin an den Verfassungsschutz. Tas stört etwa, dass trotz V-Leuten in der rechtsextremen Szene nicht ermittelt werden könne, wer die Betreiber der Neonazi-Hetzseite »Nationaler Widerstand Berlin« seien, auf der politische Gegner bedroht und aufgelistet werden. Auch wenn die Zuträger gekauft seien, blieben sie Nazis, sagt Tas.
Vorbehalte hegen indes auch die Grünen. »Spitzel wird es immer geben«, sagt Benedikt Lux. Schließlich gebe es sie nicht nur beim Verfassungsschutz, sondern auch beim Staatsschutz und der Polizei. Dennoch kann sich Lux vorstellen, dass V-Leute »mittelfristig« ganz zurückgezogen werden. Nur könne man sie nicht einfach aus einem bestehenden System herausreißen. Einen »radikalen Systemwechsel« lehnen die Grünen deshalb ab.
Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid hat unterdessen den Abgeordneten zugesichert, vertieft über Sinn und Zweck, Anzahl und Einkommen von V-Leuten in Berlin Auskunft zu erteilen - allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aus Schmids Sicht gibt es auch gar nichts abzuziehen. »V-Leute sind in der Szene und im Milieu aktiv, aus dem sie stammen und da bleiben sie auch, dann allerdings ohne zu liefern.«
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