City für Besserverdienende
Immer mehr Menschen ziehen nach Berlin/In der Innenstadt wird Wohnraum teuer
Keine guten Aussichten für Berliner Mieter: Die Nachfrage nach Wohnraum wächst weiterhin schneller als das Angebot. Das geht aus dem Wohnungsmarktbericht 2011 hervor, den die Investitionsbank Berlin (IBB) und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gestern vorstellten. Folge dieses Nachfragebooms sind steigende Mieten. Wer in der Stadt eine neue Wohnung sucht, muss dafür monatlich im Schnitt 6,49 Euro netto kalt pro Quadratmeter zahlen. Das sind laut IBB-Bericht fünf Prozent mehr als noch 2010.
Im Wohnmarktreport des Wohnungsunternehmens GSW, der am Montag veröffentlicht wurde, war sogar eine Steigerung der Angebotsmieten um 7,8 Prozent auf 6,59 Euro ausgewiesen worden. Besonders heftig stiegen die Mieten bei Neubauwohnungen. 2007 musste man bei einem Wohnungswechsel im Schnitt noch fast einen Euro pro Quadratmeter weniger für das neue Quartier zahlen. Dieser Anstieg treibt auch die bestehenden Mieten nach oben. Laut letztem Mietspiegel sind in Berlin im Schnitt 5,21 Euro pro Quadratmeter zu zahlen, womit die Mieten in den vergangenen zwei Jahren um jeweils vier Prozent zulegten.
Ein Ende dieser rasanten Entwicklung ist nicht abzusehen. Denn die Bevölkerung Berlins wächst schneller als das Wohnungsangebot. Allein in den ersten elf Monaten zogen 30 000 Menschen mehr nach Berlin als von hier weg. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit wirtschaftlichem Wachstum und sinkender Arbeitslosigkeit machten die Stadt attraktiv auch im europäischen Raum. »Es lohnt sich, nach Berlin zu ziehen«, so Annamaria Schwedt von der empirica ag, die die Studie für die IBB erarbeitete. Berlin müsse sich auf weitere Zuwanderung einstellen, mit allen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.
Ende 2010 hatte Berlin 3,46 Millionen Einwohner, das sind 18 000 mehr als im Vorjahr und über 72 000 mehr als vor zehn Jahren. Noch schneller stieg die Zahl der Haushalte. Seit 2001 nahm sie um 6,9 Prozent zu auf 1,99 Millionen. Besonders junge Leute zieht es nach Berlin.
Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) sieht diese Entwicklung offenbar mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie widerspiegele die hohe Attraktivität Berlins, lässt aber auch die Mieten steigen. Die Situation sei zwar nicht dramatisch, aber auch nicht entspannt. Er könne keine schnellen Lösungen versprechen oder gar, die Mietentwicklung zu stoppen. »Wir werden aber mit allen Instrumenten reagieren, um allen Schichten günstige Wohnungen anbieten zu können und den sozialen Auseinanderfall der Stadt zu verhindern.«
Müller verwies vor allem auf die Diskussion mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, um sie zu einer sozialen Mietgestaltung zu bewegen, und das Vorhaben der Koalition, in den nächsten fünf Jahren 30 000 neue Wohnungen zu bauen. »Jede neue Wohnung hilft und entspannt den Wohnungsmarkt«, so der Senator.
Doch im vergangenen Jahr wurden nur etwas mehr als 3500 neue Wohnungen fertig. Auch wenn die Neubautätigkeit anziehe, werde das Senatsziel kaum zu erreichen sein, glaubt IBB Vorstandschef Ulrich Kissing. Berlin brauche noch mehr Wohnungen, um die steigende Nachfrage zu befriedigen, zumal die Abwanderung von Berlinern in das Umland kaum noch ins Gewicht fällt. Die Verfasser der Studie von empirica halten sogar für nötig, dass doppelt so viele Wohnungen in Berlin gebaut werden, als vom Senat geplant. Kissing kann sich deshalb auch eine verstärkte Förderung des Wohnungsbaus vorstellen, auch wenn er nicht zurück zur alten Förderung Westberliner Prägung möchte. »Wir suchen nach Maßnahmen, die für den Berliner Haushalt vertretbar sind.«
Der Berliner Mieterverein fordert eine Beschränkung der Miethöhen bei Wiedervermietung auf maximal zehn Prozent über der Vergleichsmiete. Der Senat müsse einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zur Mietrechtsreform einbringen. Die Grünen befürchten, dass Wohnen in der Innenstadt zum Luxus wird und verlangen vom Senat ein gesamtstädtisches Konzept für eine soziale Wohnungspolitik.
Ein Netzwerk aus Mieterinitiativen lädt für heute, 19 Uhr, zum öffentlichen »Mietenpolitischen Dialog« ins Abgeordnetenhaus ein. Eingeladen sind auch der Stadtentwicklungssenator und die Wohnungsexperten der Parteien.
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