»Hilfskonvoi« nach Athen
Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen informierten sich über die Situation in Griechenland
Der Besuch stieß bei den griechischen Aktivisten auf reges Interesse. Mehrmals musste sich die europäische Delegation aufteilen, um alle Gesprächsangebote wahrnehmen zu können. Auf dem Programm standen unter anderem Besuche bei den streikenden Stahlarbeitern von Helenic Steel, der besetzen Tageszeitung »Eleftherotypia« und bei der Empörten-Bewegung. Gespräche wurden auch mit mehreren Gewerkschaften, dem linken Parteienbündnis Syriza, mit Attac Hellas und dem Komitee zur Streichung der Staatsschulden geführt.
Sichtlich schockiert waren die Teilnehmer davon, wie die Krise mittlerweile im griechischen Straßenbild sichtbar wird. Der Leerstand von Geschäften hat im vergangenen Jahr noch einmal deutlich zugenommen. Obdachlosigkeit ist trotz der gegenwärtigen Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt zur alltäglichen Erscheinung geworden. In Schulen leiden zehn Prozent der Schüler an den Folgen von Mangelernährung. Die Arbeitslosenquote ist auf über 20 Prozent gestiegen und Tausende »Noch-Beschäftigte« haben seit über einem halben Jahr keinen Lohn mehr erhalten.
Während die Europäische Zentralbank am Mittwoch den Banken wieder mehr als 500 Milliarden Euro als zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellte, sind die Zahlungen an Griechenland an immer drakonischere Maßnahmen geknüpft. So wurde zum 1. März der Mindestlohn um 22 Prozent gekürzt und beträgt jetzt nur noch 570 Euro. Bei Menschen unter 25 Jahren sinkt er sogar um 32 Prozentpunkte. Das an den Mindestlohn gekoppelte Arbeitslosengeld fällt dadurch von 371 auf 271 Euro. Nach einem Jahr gibt es gar keine Unterstützung mehr. Mehr als eine Viertelmillion Griechen sind auf Suppenküchen angewiesen, die Zahl der Obdachlosen wird auf bis zu 25 000 geschätzt, Tendenz stark steigend.
In dieser Situation wird auf Druck von EU und Internationalem Währungsfonds der einzigen Organisation, die landesweit für sozialen Wohnungsbau zuständig ist und die etwa 95 Prozent des gesamten sozialen Wohnungsbaus in Griechenland geleistet hat, der Geldhahn zugedreht. Bisher wurde die Organisation paritätisch aus Abgaben von Arbeitgebern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten finanziert. Diese Abgabe wurde zum 1. März gestrichen, um die Lohnnebenkosten zu senken. Wie Beschäftigte dem Mitgliedern der Delegation berichteten, wusste zwei Tage vor diesem Termin noch keiner der betroffenen Mitarbeiter, wie es ab März in ihrer Organisation weitergehen soll. 100 000 Sozialwohnungen droht die Privatisierung.
Alle Gesprächspartner wandten sich entschieden gegen die »Rettungspakete«, weil diese Gelder fast ausschließlich an die Gläubiger durchgereicht werden, während die Menschen immer mehr unter den damit verbundenen Bedingungen leiden. Mehrmals wurde darauf hingewiesen, dass die Grenzen der Belastbarkeit der Bevölkerung bereits überschritten seien. Für die Zukunft erwarten die griechischen Aktivisten eine weitere Verschlechterung der Lebenssituation in Griechenland. Vielfach wurde die Angst geäußert, die wachsenden sozialen Spannungen könnten sich in blutiger Gewalt entladen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.