Zurichtung, Erpressung, Verunsicherung
Ungarns rechtskonservative Regierung kürzt bei der Hochschulbildung
Die Reform des ungarischen Hochschulwesens hat es in sich. Es handelt sich um ein radikales Projekt zur Umgestaltung der Universitätslandschaft im Geiste der Unternehmeruniversität. Die Jugend soll für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zugerichtet werden, Kürzungen in den öffentlichen Haushalten verbinden sich mit der im neuen Ungarn vielbeschworenen Stärkung der Mittelschicht. So plant die Regierung Orbán eine drastische Verringerung der staatlich finanzierten und teilfinanzierten Studienplätze sowie deren nachdrückliche Neuverteilung. Für die Zulassung im Herbst 2012 bietet der Staat nur noch rund 30 000 nichtgraduierten Studienanfängern ein Studium ohne Studiengebühren, bei weiteren 15 000 verzichtet er auf die Hälfte der ansonsten fälligen Studiengebühren. Die ungarische Rektorenkonferenz wandte sich umgehend gegen diese Einsparung von mehr als 20 Prozent der staatlichen Ausgaben für die Hochschulbildung.
Besonders dramatisch wirken sich die Kürzungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus. Dort wird es landesweit künftig nur mehr 3700 staatlich unterstützte Plätze geben, 40 Prozent weniger als 2011. In der Naturwissenschaft und Technik werden dagegen nur 20 Prozent des bisherigen Kontingents gestrichen, hier gibt es 2012 noch 12 160 gebührenfreie bzw. -reduzierte Plätze. Bei der Medizinerausbildung spart sich die ungarische Regierung den Sparstift sogar zur Gänze. Bei den Juristen und den Wirtschaftswissenschaftlern dagegen ist ein Radikalschnitt zu verzeichnen. Offenbar setzt die Regierung hier ganz auf Herkommen und Markt und streicht die studiengebührenfreien Plätze fast auf null zusammen. Die Rektorenkonferenz schlägt deshalb Alarm und verlangt, dass die Rahmenziffern für die staatlich finanzierte Hochschulbildung in den einzelnen Fachbereichen in Zukunft innerhalb von Jahresfrist höchstens um 25 Prozent verändert werden dürfen um eine minimale Berechenbarkeit und Stabilität des Hochschulwesens zu garantieren.
Aus der Sicht der Betroffenen stellt die sogenannte Festhalteregelung einen besonderen Stein des Anstoßes dar. Demnach müssen Personen, die von den Studiengebühren befreit oder teilweise befreit waren, innerhalb von 20 Jahren nach Studienabschluss über mindestens sechs Jahre ein dem ungarischen Recht unterliegendes Arbeitsverhältnis eingehen. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, muss sein Stipendium nach 20 Jahren auf einen Schlag mit drei Prozent Zinsen zurückbezahlen.
Es steht außer Frage, dass die EU-Bestimmungen über die Arbeitskräftefreiheit ärmere Länder und solche mit freiem Hochschulzugang benachteiligen. Ungarn bildete bis dato auf Staatskosten zahlreiche junge Menschen aus, die bald nach Abschluss der Hochschule abwandern. Die reichen Zuwanderungsländer profitieren systematisch davon, dass sie diese Arbeitskräfte aufsaugen, deren Ausbildung anderswo bezahlt wurde. Doch die Festhalteregel stemmt sich auf eine Art gegen diese ungleiche Arbeitsteilung zugunsten der Stärkeren, die zugleich die Ungleichheit vor Ort in Ungarn weiter verschärft. Denn sie zwingt eben nur jene begabten und fleißigen jungen Menschen, die sich ein privat finanziertes Studium nicht leisten können, dazu, für lange Jahre im heimischen Ungarn zu arbeiten. Im Heimatland aber beträgt der durchschnittliche Stundenlohn gerade mal ein Drittel des Stundenlohns im benachbarten Österreich. Doch bevor die Neuregelung greift, muss Ungarn unter Umständen aber mit einem formellen Einspruch aus Brüssel rechnen, der Ausgang ist ungewiss.
In der kostenpflichtigen Hochschulbildung, die im Rahmen der Kapazitätsgrenzen der Universitäten und Fachhochschulen mit beliebiger Hörerzahl frei betrieben werden darf, zeigt sich die Verbindung zwischen Kürzungen staatlicher Ausgaben und Bevorzugung der Mittel- und Oberschicht noch deutlicher. Die Studiengebühren werden kräftig angehoben. Sie entsprechen ab jetzt jeweils jenen Kosten, die bei der Ausbildung in den einzelnen Studiengängen an der jeweiligen Universität tatsächlich anfallen. »Selbstkostenausbildung« lautet der schöne Name der gebührenpflichtigen Hochschulbildung, die in Ungarn auch bislang schon von großer Bedeutung war. Diese »Selbstkosten« reichen von rund 500 bis zu 3200 Euro pro Semester. In einem Land, in dem beispielsweise die öffentlichen Bediensteten 2011 monatlich zwischen rund 250 und 1000 Euro brutto verdienten, während sich etwa Fixkosten und Lebensmittelpreise dem westlichen Niveau weitgehend angenähert haben, macht dies das Studium für die Mehrheit der Familien in vielen Fällen endgültig unbezahlbar. Ausbildungskredite für Studierende gibt es zwar, doch stellen diese weit mehr noch als im Westen eine unkalkulierbare und unberechenbare Belastung auf Jahrzehnte dar. Die Bildungsaussichten der weniger Betuchten und der weniger Stromlinienförmigen sind also trübe.
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