Wo der Motorpflug getestet wurde

Buch über historische Gutsanlagen am Rande Berlins

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Landwirtschaft in Berlin? Kann das denn sein? So ungefähr fragt Edda Gutsche ihre Leser. Die Autorin schrieb ein Buch über »Historische Gutsanlagen in Berlin und Umgebung«. Aber ja, Güter gebe es in großer Zahl, notiert Gutsche. Denn schließlich war die Hauptstadt früher nicht so groß wie heute. So kommt es, dass am Rande der Metropole und im brandenburgischen Umland lange Ackerbau und Viehzucht getrieben wurde. Da befanden sich die Berliner Stadtgüter, die Gemüse und Fleisch für die Armenspeisung, Holz für die Särge mittelloser Verstorbener lieferten. Außerdem gab es die Rieselgüter, zu denen das Abwasser gepumpt wurde, damit es auf den Feldern versickern konnte.

Ein Beispiel für ein solches Rieselgut ist Blankenfelde in Berlin-Pankow. Das dortige alte Rittergut kaufte die Stadt Berlin 1882. Auf den Rieselfeldern wurde fortan Obst und Viehfutter geerntet. Wie bei anderen Rieselgütern auch war das ehemalige Herrenhaus überflüssig geworden. In derartigen Häusern wurden deshalb Ende der 1880er vielerorts Kinderheime oder Genesungsheime untergebracht, erzählt Gutsche. In Blankenfelde sollten Wöchnerinnen aus armen Bevölkerungsschichten »unter fachlicher Aufsicht und günstigen hygienischen Bedingungen« entbinden. »Die Einrichtung war jedoch wegen schlechter Auslastung nur wenige Jahre in Betrieb. 1894 erfolgte die Umwandlung in eine Tuberkulose-Heilstätte. Liegehallen entstanden, wo die Lungenkranken frische Landluft einatmen sollten. Auch Osdorf im Landkreis Teltow-Fläming war ein Rieselgut. Es entwickelte sich früh zu einem beliebten Ausflugsziel. Besucher konnten die erzeugten Produkte in einer eigens dafür eingerichteten Gaststätte verzehren. In der Zeit der deutschen Teilung lag Osdorf im Grenzgebiet. Der Ort nahm DDR-Grenztruppen auf. 1968 begann der Abriss und die Bewohner wurden umgesiedelt. Bloß eine Scheune blieb stehen. In ihr befinden sich heute ein Café und ein Hofladen.

Gutshäuser dienten aber einst auch einfach als Sommerresidenz reich gewordener Bankiers und Fabrikanten. So erwarb der Industrielle Werner Siemens die meist als Schloss bezeichnete Villa in Biesdorf. Sein Sohn Georg Wilhelm übernahm das Gelände.

Gutsche widmet sich 36 historischen Anlagen. Die Beschreibungen beginnen gewöhnlich mit der ziemlich langweiligen, aber wohl unumgänglichen Aufzählung von Adelsgeschlechtern, die sich als wechselnde Besitzer die Klinke in die Hand gaben. Aber ist der Leser durch diese einleitenden Absätze erst einmal durch, kommen fast immer interessante Details und Begebenheiten aus verschiedenen Epochen. So der Hinweis, dass Bismarcks Mutter sechs Jahre ihrer Jugend im Gutshaus Neu-Kladow verbrachte, oder die Mitteilung, dass Fabrikant Robert Stock seine neuen Motorpflüge, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine neue Ära in der Mechanisierung der Landwirtschaft einleiteten, auf den Feldern des Ritterguts Mehrow im Barnim testete, oder der Vermerk, dass der Kunstliebhaber Richard Israel, Nachkomme eines Kaufhausinhabers, auf seinem Gut Schulzendorf Maler, Musiker und Schriftsteller empfing. Um sie vor dem Nazis in Sicherheit zu bringen, schickte Richard Israel Frau und Kinder nach Amerika. Er selbst harrte in Schulzendorf aus, wurde abgeholt und 1942 im KZ Theresienstadt ermordet.

Edda Gutsche: »Historische Gutsanlagen in Berlin und Umgebung«, 192 Seiten (geb.), 19,95 Euro

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