Spitze bei der Ungleichheit
Enger Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland
»Die Lehrer waren froh, als ich immer häufiger nicht mehr zum Unterricht erschien«, wird vor rund drei Jahren eine Jugendliche aus Mecklenburg-Vorpommern in einer nd-Reportage zitiert. Die Jugendliche hatte die Schule ohne Abschluss verlassen, keine Lehrstelle bekommen und absolvierte damals eine außerbetriebliche Ausbildungsmaßnahme. Keine ungewöhnliche Bildungsbiografie für den deutschen Nordosten. Mit 14,1 Prozent ist der Anteil der Schulabgänger in Mecklenburg-Vorpommern doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. So das Ergebnis eines Ländervergleichs der Bertelsmann-Stiftung. Das Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung hatte dazu die Schulsysteme der Länder anhand von vier Bereichen unter die Lupe genommen: Förderung von sogenannten Lernbehinderten, Soziale Durchlässigkeit, Lesekompetenz sowie Anteil der Schüler mit höheren Bildungsabschlüssen.
Nach wie vor ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland sehr hoch, lautet die Kernaussage der »Chancenspiegel« genannten Untersuchung. Grundschulkinder aus Akademikerfamilien haben in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gegenüber Gleichaltrigen nichtakademischer Herkunft eine 6,1-fache Chance aufs Gymnasium zu wechseln; in Berlin, Brandenburg, Hamburg Hessen und Sachsen beträgt die Wahrscheinlichkeit immer noch 2,5. »Es gibt in den deutschen Schulsystemen mehr Abstiege als Aufstiege«, beschreiben die Autoren das Dilemma. Vor allem in Berlin, Hessen, Niedersachsen und Sachsen sei der Anteil der Kinder gering, die die Chance haben, auf eine höhere Schulform zu wechseln.
Unterschiede gibt es der Studie zufolge auch beim Anteil der Abiturienten. Während etwa in Nordrhein-Westfalen, im Saarland, Hamburg und Baden-Württemberg jeweils mehr als die Hälfte mit einer Hochschulzugangsberechtigung die Schule verlassen, beträgt die Abiturquote in Bayern weniger als 40 Prozent. Auch in diesem Ranking ist Mecklenburg-Vorpommern Schlusslicht; hier besitzen lediglich 35,7 Prozent eines Jahrgangs die Studienberechtigung.
Die Schulexpertin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, warf den Ländern vor, auch elf Jahre nach der ersten PISA-Studie, in der bereits auf die mangelnde Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem hingewiesen wurde, noch keine gemeinsam Strategie für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit entwickelt zu haben. »Dass Leistung und Chancengleichheit zwei Seiten einer Medaille sind, hat sich in der deutschen Bildungspolitik immer noch nicht als Philosophie durchgesetzt«, kritisierte die stellvertretende GEW-Vorsitzende.
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