Einsam in Gemeinschaft

Carlisle Floyds »Sturmhöhe« in Freiberg

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.

Vorerst scheinen Philipp Glass und John Adams ihrem 85-jährigen amerikanischen Landsmann Carlisle Floyd als Opernkomponisten den Rang abgelaufen zu haben. Ob das so bleibt, wird die Zukunft erweisen. Die 1958 uraufgeführte, nun im Mittelsächsischen Theater Freiberg erstmals in Europa gespielte Oper »Sturmhöhe« (»Wuthering Heights«) nach dem Roman von Emily Bronte lässt ob ihrer Qualitäten jedenfalls aufhorchen.

Der mehrmals verfilmte Roman bildet die Grundlage des Bühnengeschehens. Doch mit seiner Musik erschließt der Komponist emotionale Tiefen, die beim Lesen und Sehen so nicht zu erleben sind. Wohlbedacht beschränkte er sein Libretto auf den ersten Teil des Romans. Der schildert die Tragödie einsamer Menschen in einsamer Gegend.

Wie der Roman beginnt die Oper mit einem Prolog im Jahr 1835. Der als Findelkind vom damaligen »Sturmhöhen«-Herrn Earnchaw aufgenommene Heathcliff ist inzwischen Besitzer dieses Hofes und hat Isabella, die Schwester seines Rivalen Edgar Linton vom Nachbargut »Thrushcross Grange«, zur Frau genommen, ohne sie zu lieben. Ein Fremder bittet im Schneesturm um Schutz. Isabella steckt ihm Tagebücher der 1821 gestorbenen, von Heathcliff leidenschaftlich geliebten Catherine (Cathy) Earnchaw zu. Deren Stimme erklingt plötzlich im Sturm, ihre kalkweiße Hand wird am Fenster sichtbar ...

In den vier im Jahr 1817 spielenden Bildern finden Heathcliff und Catherine zueinander. Einen Höhepunkt bildet die Szene, in der beide aus dem Hause flüchten und gemeinsam mit gefühlstiefem Gesang die Natur bewundern. Doch infolge eines Unfalls bleibt Catherine zur Pflege auf dem Nachbargut, verändert sich, nimmt unüberlegt einen Heiratsantrag des Gutsherren Linton an, obwohl sie Heathcliff noch immer liebt. Die entstehenden Spannungen zwischen den Männern prägen die drei 1820/21 spielenden Bilder des dritten Aktes auf »Thrushcross Grange« in bewegenden Gesängen. Dort stirbt die schwangere Catherine in Heathcliffs Armen.

Floyd knüpfte an die um 1900 geborene amerikanische Komponistengeneration um Aaron Copland und Roy Harris an, nahm aber auch Anregungen von Benjamin Britten auf. Und aus der Ferne schimmert noch Puccinis »Mädchen aus dem goldenen Westen« auf, das für die amerikanische Oper bedeutender wurde als für die europäische. Mit den reichen Möglichkeiten der erweiterten Tonalität fand Floyd zu herber, ausdrucksstarker Melodik, differenzierter Harmonik, bewegter Rhythmik und farbenreicher Klanggebung. Motivische Bezüge bestärken den musikalischen Zusammenhang. Chefdirigent Jan Michael Horstmann, Regisseurin Judica Semler, Ausstatter Tilo Stadte und der für die Übertitel sowie für das komplett übersetzte Textbuch verantwortlich zeichnende Dramaturg Christoph Nieder fanden mit dem hauseigenen Ensemble zu einer überzeugenden Gemeinschaftsarbeit. Spiritus rector ist dabei der Dirigent, aber nicht selbstherrlich, sondern mit dem Blick für das Ganze.

Da bilden der bewegende Gesang, die aus der Musik entwickelten szenischen Aktionen auf der karg und dabei verwandlungsfähig ausgestatteten Bühne und Kostüme eine Einheit. Vor allem zeichnen sich Lilia Milek als Catherine Earnshaw und Guido Kunze als Heathcliff mit ihrer eindringlichen gesanglichen und darstellerischen Gestaltung aus. Doch auch Susanne Engelhardt als Isabella Linton, Alec Otto als Edgar Linton, Jens Winkelmann als Catherinas Bruder Hindley und in den kleine Partien Zsuzsanna Kakuk als Haushälterin Nelly, Juhapekka Sainio als Mr. Earnshaw, Klaus Kühl als Diener Joseph und Mark Schreck als Mr. Lookwood haben gebührenden Anteil an der Geschlossenheit der Aufführung. Hohe Anerkennung verdient die alles andere als üppig besetzte Mittelsächsische Philharmonie, die Jan Michael Horstmann zum wandlungsfähigen Orchester entwickelt hat, das ein Repertoire von Monteverdi bis in die jüngste Zeit stilsicher spielt.

Nächste Vorstellung am 24.3.

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