Führt Randale weiter?
Antikapitalismus-Bewegung diskutiert nach den Krisenprotesten in Frankfurt über Aktionsformen
»In Frankfurt wurde ein deutliches Zeichen gegen die deutsche und europäische Krisenpolitik gesetzt«. Leo Schneider, Sprecher des M31-Bündnisses, zeigte sich mit der Demonstration zufrieden. Doch hinterher prägte nicht die Gewaltfreiheit einer breiten Mehrheit der rund 5000 Demonstranten die Medienberichte, sondern Bilder von zerbrochenen Fensterscheiben an Geschäftsgebäuden, Farbbeuteln an der Europäischen Zentralbank (EZB). »Farbe, Steine, Scherben«, titelte selbst die linksliberale Frankfurter Rundschau.
»Der Veranstalter forderte die wenigen Steineschmeißer zur Ruhe auf, schließlich wollten wir die Demo auch wirklich bis zur EZB-Baustelle fortsetzen«, erinnert sich ein junger Demonstrant. »Die Polizei schaute zu. Erst als die Situation längst deeskaliert war, stürmten die Beamten vor, um die zerbrochene und besprayte Fassade zu verteidigen«. Haben die Einsatzkräfte etwa in Kauf genommen, dass Fensterscheiben zu Bruch gingen, um daraus politisches Kapital zu schlagen? Für Hessens angeschlagenen Innenminister Boris Rhein (CDU) jedenfalls, der vorletzten Sonntag bei der Frankfurter OB-Wahl eine Niederlage erlitten hatte, boten die Ausschreitungen einer kleinen Minderheit unter den Demonstranten eine Gelegenheit, um sich als starken Ordnungspolitiker zu präsentieren. Gebetsmühlenartig verurteilte er die »gewalttätigen Ausschreitungen von Kapitalismusgegnern«, setzte Links- und Rechtsextremismus gleich und warnte vor einer »Unterschätzung linker Gewalt«.
»Wegen ein paar kaputter Scheiben hat die Polizei unsere Demonstration brutal angegriffen, Dutzende Demonstranten verletzt und über zweihundert Menschen stundenlang festgesetzt«, empört sich Leo Schneider. Dies sei »angesichts der brutalen Auswirkungen der Sparpolitik für die Menschen weltweit absurd«.
Ist Sachbeschädigung legitimer antikapitalistischer Protest? Diese Frage bejaht eine Frankfurter Demonstrantin in einer Facebook-Diskussion. »Friedhofsruhe war nicht gefragt«, sagt die Aktivistin: »Gewalt wurde an diesem Tag ausgeübt, gegen Schicki-Läden, gegen Bonzen-Herbergen, gegen die EZB.« An Zeitarbeitsfirmen sei »die Stimmung richtig ungehalten« gewesen, berichtet sie und fragt: »Ist es nicht unser Recht und geradezu unsere Pflicht, aufzustehen gegen diese Zustände, die immer unerträglicher werden?«
»Das wird die Menschen nicht mobilisieren, für eine andere Politik einzutreten«, warnt hingegen Willi van Ooyen, Chef der hessischen Linksfraktion und seit Jahrzehnten Ostermarschierer und Friedensaktivist. Ernüchtert von der Demo ist auch eine jugendliche Demonstrantin. »Wollen wir die Massen begeistern oder unserem Zerstörungstrieb nachgeben?«, fragt sie. »Fensterscheiben zerstören ist eine Verzweiflungstat und Dummheit«, meint auch Miguel González, ein in Hessen lebender Spanier. Die Bewegung der »Empörten« habe auch deshalb weit über Spanien hinaus viel Sympathie verbucht, weil die Gewalt nachweisbar nicht von der Protestbewegung, sondern von der Polizei ausgegangen sei.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.