Er hatte Recht - nicht die Partei

Vor 30 Jahren starb Robert Havemann - Wie sich der Chemiker einen demokratischen Sozialismus vorstellte

  • Stefan Bollinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Naturwissenschaftler und Philosoph: Robert Havemann
Naturwissenschaftler und Philosoph: Robert Havemann

Robert Havemann war kantig, unbändig optimistisch, unduldsam, risikobereit und lebensfroh, kritisch und aktiv links. Der hervorragende Chemiker war schon in Nazideutschland wissenschaftlich tätig, auch in der Giftgasforschung. Zugleich organisierte er eine Widerstandsgruppe, Europäische Union genannt. Er wurde verhaftet, zum Tode verurteilt, aber wegen kriegswichtiger Forschungen noch nicht hingerichtet. Aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden befreite ihn am 27. April 1945 die Sowjetarmee.

Havemann engagiert sich sogleich mit voller Kraft und Tatendrang für den Neuaufbau des materiell und geistig zertrümmerten Deutschlands, wirkt u. a. verantwortlich am Westberliner Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Abermals eckt er politisch an. Im noch nicht durch eine Mauer getrennten Berlin wird er Mitglied der DDR-Volkskammer und kritisiert, dass die Wasserstoffbombe »dem alten Terrorbomber-Prinzip der USA-Luftwaffe im kalten Krieg wieder Geltung verschaffen« soll. Das ist für die »freie Welt« unhaltbar. Der Westberliner Senat entlässt ihn fristlos. Für den nunmehr offen als Kommunisten auftretenden Havemann eine Chance, sich für den sozialistischen deutschen Staat einzusetzen. Auch hier übernimmt er Leitungsaufgaben an der Deutschen Akademie der Wissenschaften und an der Humboldt-Universität, konsequent mit dem gefährdeten Staat verbunden. So eng, dass er ohne Bedenken mit dem MfS zusammenarbeitet. Warum auch nicht - er ist zu jener Zeit noch stolz auf seine DDR.

Mit dem politischem Erdbeben des XX. KPdSU-Parteitag 1956 »brach das Bauwerk meines Glaubens zusammen«, bekennt Havemann. Er will nun wieder den »Wiederaufbau aus den Trümmern«. Der Naturwissenschaftler wendet sich nunmehr der Philosophie zu. Er will die Erneuerung des Sozialismus und setzt seine Hoffnungen nicht zuletzt in die Reformen des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS), die unter Walter Ulbricht zaghaft in Angriff genommen werden. An der Humboldt-Universität liest er 1963/64 zu »Naturwissenschaftlichen Aspekten philosophischer Probleme« (die Skripte erscheinen erscheinen im Westen in Buchform: »Dialektik ohne Dogma«). Havemann stellt den dogmatisierten Marxismus-Leninismus infrage. In dem Moment jedoch, wo er demokratische Freiheiten und das Ende von Wahrheitsmonopolen einfordert, gerät er in den Augen der SED-Oberen zu einer Bedrohung.

»Die materielle und macht-mäßige Sicherung der sozialistischen Revolution war die zentrale Frage der Periode von 1917 bis 1950/55 ... Die sozialistische Revolution hat sich konsolidiert und stabilisiert ... Jetzt hat sie die Möglichkeit, mit all den Übeln fertig zu werden, die sich im Laufe der ersten Periode entwickelt haben. Sie hat den neuen Weg bereits eingeschlagen, den Weg des demokratischen Sozialismus«, ist Havemann überzeugt. Und missversteht den Inhalt der Reformversuche, die sich auf die Wirtschaft beschränken. Mit der politischen Macht mochte in der SED-Führung niemand spielen. Havemann wird nicht wieder für die Volkskammer aufgestellt, fliegt aus der Partei und verliert seine Professur.

Wie so oft in ihrer Geschichte schießt sich die SED auf einen linken Intellektuellen ein, der mit dem Sozialismus ernst machen will. Im Dezember 1965 tagt ihr 11. ZK-Plenum, dessen »Kahlschlag« in die Geschichte eingehen sollte. Die Wut der Parteioberen auf die Künstler, die die vermeintlich neuen Freiheiten zur Verbesserung des Sozialismus »missbrauchten«, trifft auch Havemann. Dem bis zum 17. Dezember tagenden ZK lag offenbar der Vorabdruck eines brisanten Beitrags aus seiner Feder für den Hamburger »Spiegel« am folgenden Wochenende vor. In diesem setzt sich der kritische Geist vehement für die Wiederzulassung der KPD in der Bundesrepublik ein, die eine reformorientierte Partei sein müsste und für einen Ausgleich mit der SPD sowie einen Wandel in der SED Anstoß geben könnte. Die Schlüssel zur Überwindung des Stalinismus sind für ihn eine sich demokratisch organisierende Partei und Demokratie. Er polemisiert gegen eine Struktur des Partei- und Staatsapparates, »wo Demokratie bestenfalls nur noch als Fassade existierte«.

Noch auf dem Plenum wird Havemann gemeinsam mit Stefan Heym und Wolf Biermann als Organisator eines deutschen »Petöfi«-Klubs gebrandmarkt, jenes Intellektuellen-Klubs, der 1956 in Ungarn für einen Neuanfang stand, der indes blutig endete.

Die SED will keinen intellektuellen Kopf, der eine neue Opposition begründet. Eine Woche nach dem Plenum setzt die Deutsche Akademie der Wissenschaften ihr Mitglied statutenwidrig vor die Tür, weil er »prinzipielle Veränderungen in der Gesellschaftsordnung« propagiert habe und »entscheidende politische Grundlagen der Staats- und Gesellschaftsordnung« angreife.

Havemanns neue Hoffnung fokussiert sich auf den »Prager Frühling« 1968, der jedoch gewaltsam beendet wird. Die Reaktionen der Macht auf Havemanns unbeugsames Streben, Veränderungen anzustoßen, sind ebenso kleinlich wie wirksam. Mit viel Aufwand organisiert das MfS einen dreijährigen Hausarrest für den bekanntesten Dissidenten der DDR. Einen politischen Prozess, wie noch in den 50er Jahren gegen kritische Intellektuelle, scheuend, müssen vermeintliche Devisenvergehen herhalten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Doch selbst dies misslingt. Immer wieder findet Havemann Wege, sich zu Wort zu melden; auch wenn es für den Dissidenten ein Makel ist, dies über Organe des »Klassenfeindes«, via Westmedien, zu praktizieren und damit angreifbar zu bleiben.

Schließlich schwinden auch dem großen Optimisten die Hoffnungen auf Veränderungen im eigenen Land. Sorge vor einem Nuklearkrieg treibt ihn nun zur Unterstützung einer blockübergreifenden Friedensbewegung. Kurz vor seinem Tode erscheint 1980 sein Vermächtnis: »Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie«. Natürlich rechnet er auch hierin mit dem staatsmonopolistischen Sozialismus ab, vor allem aber sucht er nach einem ökologisch und basisdemokratisch organisierten Kommunismus - in klarer Ablehnung des unakzeptablen Kapitalismus. Havemann bleibt sich und der sozialistischen Idee treu.

Als eine der letzten Handlungen beschloss die Zentrale Parteikontrollkommission der SED Ende November 1989 die Rehabilitierung des am 9. April 1982 in Grünheide verstorbenen Robert Havemann - mit dem expliziten Hinweis, dass er im Recht war, nicht die Partei.

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