Das Fest der Fälscher
Im ARD-Hauptstadtstudio obsiegt »Die Prosa der Ereignisse« über die Geschichte
Bilder überfluten den Zeitgenossen, brennen sich in sein Hirn ein, stehen für Geschichte, ob sie so stattgefunden hat oder nicht. Nicht alles sei wirklich geschehen, was Geschichte uns biete, zumindest nicht so geschehen wie dargeboten und zudem nur ein Geringes dessen, was überhaupt geschehen. So urteilt Goethe 1806 ziemlich geringschätzig über Geschichtsschreibung. Sein Zweifel an der tradierten, »verschriftlichten« Historie hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren, im Gegenteil. Die raffinierten Mittel etwa einer nachträglichen Fotobearbeitung per Computer öffnen der Fälschung, wenigstens Einflussnahme Tür und Tor. Auch dafür liefert die aktuelle Ausstellung im ARD-Hauptstadtstudio beredte Beweise. Jens Kloppmann, gebürtig 1969 aus Witten, Studium Freie Kunst dann an der Bauhaus-Universität Weimar und der Kunsthochschule Kassel, seither vielerorts in Ausstellungen vertreten, fügt zur »Prosa der Ereignisse«, was er über knapp zehn Jahre kreiert hat und was auf teils frappierende Weise politische Ereignisse prosaisch und ohne verklärende Zutaten kommentierend entlarvt.
Gleich über mehrere Etagen erstreckt sich im Gebäudeinnenhof der Zyklus »Im fotografischen Exil«. Darin tut er, was Stalin ihm umgekehrt vorgemacht hat. Ließ der Diktator auf Fotos den Erzrivalen Trotzki tilgen, fügt ihn Kloppmann nun dort wieder ein, wo er gar nicht hingehört: Der Vordenker der Revolution somit im späten Fotoexil. Im Auto hinter Allende bei einer Triumphfahrt durch Jubelnde taucht er auf, findet sich neben Che Guevara, als ohrflüsternder Berater im ernsten Gespräch zwischen Gorbatschow und Reagan, erlebt Jelzin bei einer Rede ans Volk, Mandela im Marsch, Brandts Warschauer Kniefall, hat fiktiv John F. Kennedy als Gegenüber. Ob der Fotoretuscheur so auch auf Trotzkis ideelles Nachwirken aufmerksam machen möchte, kann man rätseln.
Politisch brisant ist ebenfalls eine Serie aus 48 kleinformatig jeweils auf einfarbige Leinwand in Acrylmischtechnik gemalten Porträts. »Diktatoren mit Tieren« ordnet den Unterdrückern der Welt gleichzeitig charakterisierende Tiere zu. Honecker erhält einen Hund, der auch einem im Rollstuhl grinsenden Pinochet auf dem Schoß kuschelt; Chavez müht sich um ein Lama, Mubarak sitzt vor einem Vogel im Käfig, Assad spielt Vogel Strauß, drei Vögel hat Stalin um sich. Zu Castro passt wegen zögerlicher Reformen offenbar eine Schildkröte, zu Nordkoreas Regierungschef der nur scheinbar niedliche Waschbär, und auch afrikanische Potentaten hängen tierisch geoutet auf den zu Neunerformationen gefügten Tafeln.
Schlicht »Ornament« heißt eine Ansammlung aus Sperrholz gesägter Figuren, die das Vexierspiel mit zu Ikonen erstarrten Fotos fortsetzt. Gesichtslos sind sie alle, indes so populär, dass selbst der Umriss erkennen lässt, wer und was gemeint ist. Quer durch die Bereiche gesellschaftlichen Lebens führt der hölzerne Streifzug. Der Ku-Klux-Klan-Terrorist ist dabei und der wartende oder schießende Soldat, der Hula-Hoop-Sportler und der Lastenträger, der Araber in seiner Kluft und die fackelnde Liberty-Statue. Ein Mann spielt Golf, ein Trio Schach, ein Musiker sowie Ginger und Fred stehen für die kulturelle Sphäre, und auf die Benetzung Gottes wartet Michelangelos Adam aus der Sixtinischen Kapelle.
In Kunst übersetzt Kloppmann auch Kriegsschäden: Zehn Abgüsse in Gips halten Einschusslöcher aus Kriegstagen in Hausfassaden fest, einzelne große oder viele kleine dicht bei dicht. Ein Vierfarbdruck auf Leuchtkasten zeigt »Luftkampf«: durch die Flugzeugschatten auf einem Webmuster respektive dem Gewirr kleinteiliger Felder, wie es sich aus dem Flieger darbietet. Anregend auch der letzte Zyklus, sechs »Videoloops«, die auf verschiedenen Stockwerken zur Betrachtung einladen. Sie halten in Dauerschleife sekundenkurze Momente aus dem Tun politischer Persönlichkeiten fest. Karadzic durchschreitet ein Auditorium, Bush scheint in einen Park zu entweichen, Arafat besteigt ein Auto, Chomeini verlässt gebrechlich das Flugzeug, Jelzin geht gespannt durchs Parlament, Mandela unter Anhängern. Wofür jene Augenblicke stehen, mag jeder für sich entscheiden.
Bis 15.4., ARD-Hauptstadtstudio, Wilhelmstr. 67a, Mitte, Telefon (030) 22 88 11 00, www.ard-hauptstadtstudio.de
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