Flucht in den Tanz
Umjubelt: Modjgan Hashemians Duett »In Motion« im Ballhaus Naunynstraße
Das Vorgängerstück hieß noch »Don’t Move«. Darin hatte Modjgan Hashemian untersucht, wie trotz öffentlichem Verbot im Iran getanzt werden kann: in engen Räumen und auf schotterbedeckten Dächern, schlimmstenfalls unter Verschleierung der Identität. Einer, der damals lediglich als bewegter Schatten teilnehmen durfte, hat vor einem Jahr die Flucht nach Berlin gewagt und hofft hier auf eine bessere, tanzverbundene Zukunft. Hashemian führte ihn in die Szene ein und erarbeitete mit ihm gemeinsam ein Stück, das beider Geschichte erzählt. Die der mit den Eltern als Kind aus Teheran geflohenen, nun in Berlin lebenden jungen Frau und die des gerade angekommenen jungen Manns, der daheim doppelt bedroht war: als Tänzer und als Schwuler. In Bewegung sind sie jetzt, »In Motion« heißt deswegen ihr Duett für das Ballhaus Naunynstraße.
Im schwarz ausgekleideten Bühnenraum, zwischen diversen Kisten, hetzt ein Mann im Slip umher; Spots erhellen die Phasen, in denen er sich ankleidet. Schmal und krumm wirkt er, fahrig und wie unter steter Observation, zittert, knöpft fortwährend das Hemd falsch zu. Ruhe findet der Angstgepeinigte nur in einer winzigen Kiste als Refugium. Da taucht aus dem Dunkel die Frau auf. Das Haar wie eine Burka vors Gesicht gebunden, kann sie einzig mit Arm und Hand lockende Gesten vollführen, spreizt, renkt und verdreht ihren Körper. Der in der Kiste klopft den Rhythmus dazu. Als beide dann umherirren und teils dieselben Bewegungen ausführen, schauen diese doch unterschiedlich aus: ihre freier, seine überdeckt von Gefahr. Dies Bild wird noch deutlicher, als sich die Frau, das Gesicht haarbefreit, im Lotossitz auf der Kiste platziert, er in seine Behausung zurückschlüpft.
Klopfend verständigt er sich mit ihr, nur eine Holzplatte trennt beide Welten, sie lauscht seinen Rufen aus der Zwangslage, setzt sie in ein bodenintensives Solo um. Aus seinem anschließenden Solo fällt er durch einen geschlitzten Vorhang in eine große weiße Kiste, auf deren Wand Dias von Teheran projiziert werden - und von dem Tänzer, als Kind, als tanzender Erwachsener im Freien. Sie im illuminierten Haus tastet von innen seine Körperumrisse sehnsuchtsvoll ab.
Fröhlicher iranischer Musik weicht der Lärm einer Demonstration, von Schreien, Polizeirufen, skandierten Sprüchen. Wieder fliegt der Mann durch den Raum, stürzt, hechtet, wittert Angriff von allen Seiten. Aus einem Karton zieht er Matten und ordnet sie nervös zur Unterlage für den Tanz, findet auch einen kleinen Rekorder, der Begleitmusik aus der Hosentasche liefert. Als sich die fragile Unterlage in ihre Einzelteile auflöst, hüpft er darauf wie auf Schollen in seinen Wohnkäfig zurück, zieht sie zu sich herein. Am Ende dreht sich alles nur noch um den großen weißen Kasten, Metapher für den Ort besseren Lebens: Er steckt von drinnen den Kopf heraus, sie ihren hinein. Dann stößt sie den Mann in den Kasten, klettert aufs Dach, er folgt ihr. Und schon beginnt ein heiteres Platzspiel: Jeder stößt mal jeden runter, wird in Revanche dann selbst heruntergekickt, bis beider Hände sich finden, liebend verhakeln.
Noch unbeschwerter und fröhlicher wird der Wettbewerb im Freien, lässt die zwei umhertoben und im gleichen Rhythmus erst mit den Schultern zucken, ehe sich die Augenbrauen kokettierend zum Publikum hin heben. Kaveh Ghaemi ist in der Freiheit des Tanzes angekommen, hat im Leben außerhalb der Bühne endlich sein Bleiberecht als Asylant erwirkt.
Modjgan Hashemian war ihm dabei Choreographin und sicher auch treibende Kraft. Auf subtile Weise politisch ist »In Motion«, doch ohne jeden Agitprop-Anhauch, berührend und voller verschlüsselter Bilder. Man mag Kaveh Ghaemi, dem in Iran preisgekrönten Schauspieler und Tänzer, nur wünschen, dass Berlin jetzt sein Potenzial nutzt.
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