Oles Mutprobe
Hamburgs Alt-Bürgermeister von Beust stellte sein Buch vor - und präsentiert sich nachdenklich
Politik ist schnelllebig. Der drittletzte und der sechsletzte Bürgermeister sitzen auf der Bühne des renommierten Hamburger Thalia-Theaters. Klaus von Dohnanyi (83, SPD, Amtszeit 1981 bis 1988) gefällt sich in der moderierenden Rolle des Elder Statesman; Ole von Beust (57, CDU, 2001 bis 2010) liegt das Parlieren auch mehr als der bloße Vortrag aus seinem Buch »Mutproben«, das am Mittwochabend vorgestellt wurde.
Mut zu unpopulären Entscheidungen fordert von Beust in seinem Buch ein, das er zusammen mit dem Talkshow-Redakteur Nahuel Lopez verfasst hat: »in Kenntnis der Gefahren der eigenen Überzeugung und Intuition« zu folgen. Die 205 Seiten sind eine eigentümliche Mischung aus höchst dezenter Nähkästchenplauderei, reichlich Erbauungslektüre sowie Ausführungen zu Integration, europäischer Einigung und Bildungspolitik, die dezidiert liberale oder darüber hinaus gehende Forderungen wie die nach einem Kita-Pflichtjahr enthalten.
Von Dohnanyi bewirbt »Mutproben« als »das ungewöhnlichste Politikerbuch, das ich in meinem Leben gelesen habe«. Das von ihm gepriesene »Maß an Offenheit« hält sich jedoch in engen Grenzen. Von Beust pikst selbst seinen vollends glücklosen Nachfolger Christoph Ahlhaus allenfalls mit dem Florett, wenn er ihn süffisant als »charakterlich anständigen Mann« skizziert, der »keineswegs als Notlösung« fungiert habe. Wer die drei Persönlichkeiten außerhalb Hamburgs waren, die von Beust an Stelle von Ahlhaus vergeblich als Nachfolger gewinnen wollte, bleibt auch an diesem Abend ein Geheimnis.
Nicht lange Klassensprecher
Stattdessen formuliert der Altbürgermeister im Thalia-Theater Einwände gegen die »menschlich sympathische, aber politisch verheerende Naivität« der Piratenpartei, deren »Forderung nach totaler Transparenz verhängnisvoll« sei. Seinen eigenen Rückzug aus der Politik begründet er letztlich mit der Gleichung: »Zuwachs an Macht bedeutet Verlust an Freiheit.«
Von Beust trägt aus seiner Kindheit vor, berichtet von Zimmerwänden voll mit Wahlkampfplakaten, bei allen Parteien bestellt. Als er vorliest, wie er nach nur zwei Monaten als Klassensprecher wegen mangelnden Interesses und fehlender Autorität wieder abgesetzt worden sei, hat er die Lacher der etwa 150 Zuhörer auf seiner Seite.
Manche der nicht vorgetragenen Passagen im Buch wirken allerdings unfreiwillig komisch: Wenn von Beust für eine öffentlich geförderte Wohnungsbaupolitik »zur Entghettoisierung« eintritt, steht dies im strikten Gegensatz zum Rückzug der Stadt aus dem Wohnungsbau während seiner Amtszeit. Auch die damals »aus fiskalischen Gründen interessante« Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser, die er 2004 gegen einen Volksentscheid durchgesetzt hat, bedauert er mittlerweile. An diesen Stellen könnte man glauben, der passionierte Politikerimitator Ole von Beust imitiere gerade den Politiker Ole von Beust.
Es sei »wahnsinnig schwer, sich aus dem Strom der Politik zu lösen«, doziert von Dohnanyi inzwischen. Immerhin unterhalten sich zwei Altbürgermeister, die zumindest in ihrer nachträglichen Weichzeichnung beide aus freien Stücken gegangen sind. Dohnanyi, ehe er von seiner SPD wegen der moderaten Hafenstraße-Politik gestürzt; Beust, ehe die CDU seines Kurses vollends überdrüssig werden konnte. »Wenn ich Konservative reden höre, dann erschöpfen sie sich häufig im Postulieren von Haltungen und im Artikulieren von Gefühlen«, schreibt von Beust, was für die CDU nach Entfremdung klingen muss.
Späte Skepsis
Inzwischen kritisiert von Beust, dass »Politiker sich haben täuschen lassen von einem Ideal des Kapitalismus«, das nicht der »Natur des Menschen« entspreche: »Ich glaubte an die Verantwortung des Einzelnen und an das natürliche Regulativ des Marktes. Aber je länger ich in exekutiver Verantwortung stand und bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen beobachtete, desto skeptischer wurde ich.«
Nach einer Stunde fragt eine Zuschauerin, ob der heutige Rechtsanwalt und Wirtschaftsberater von Beust sich eine Rückkehr in die Politik vorstellen könne. »Eher nicht«, antwortet dieser und führt dann aus: »Angenommen, Sie kriegen ein verlockendes und ehrenwertes Angebot, dann muss man ja auch eine Nacht drüber schlafen.«
Ole von Beust (mit Nahuel Lopez), Mutproben: Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2012, 205 Seiten, 19,99 Euro
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