Schafott der bösen Zungen
Görlitzer OB-Wahl steht unter seltsamen Zeichen
Mit Lyrik wird selten in einen Wahlkampf gezogen. Joachim Paulick aber hat ein Gedicht auf die Internetseite gestellt, die seine Wiederwahl als Oberbürgermeister empfiehlt. Das Poem erzählt, wie ein Mann auf dem »Schafott der bösen Zungen« endete, obwohl er der Menge ein »Säckl Gold voll Überschuss« vor die Füße gestellt hatte. Dennoch wird er verjagt. »Die arme Sau«, heißt es lakonisch, »war halt zu ehrlich.«
Einst von CDU nominiert
Paulick, so legt das Gedicht nahe, hegt keine sonderlich großen Hoffnungen, in Görlitz weitere sieben Jahre das Rathaus zu führen. Dabei ist der 54-jährige Ex-Kohlekumpel, der früher unter anderem den Betriebsrat im Tagebau Bertzdorf leitete, nur einer von zwei Kandidaten bei der Abstimmung, zu der am Sonntag die 55 000 Einwohner in Sachsens östlichster Stadt aufgerufen sind. Neben Paulick tritt nur der 56 Jahre alte Siegfried Deinige an, der einst als Ingenieur im Waggonbau Görlitz anfing und inzwischen Manager in dem Bombadier-Werk ist.
Prognosen bestätigen Paulicks Sorgen: Eine repräsentative Umfrage sieht ihn bei 19 Prozent, seinen Herausforderer aber bei 44 Prozent. Dieser kann auch erheblich größeren politischen Rückhalt verbuchen. Offiziell aufgestellt wurde Deinige von CDU, FDP, den Grünen und dem Bündnis »Bürger für Görlitz«. Zu seiner Wahl rufen aber auch LINKE und Piraten auf.
OB Paulick indessen wird von seinem eigenen Wahlbündnis »Zur Sache« und der SPD ins Rennen geschickt, die eine gemeinsame Fraktion bilden. 2005 war er von der CDU nominiert worden, um den Erfolg eines anderen CDU-Mannes zu verhindern. Er verließ die Partei später.
Warum die Sympathien so deutlich verteilt sind, deutet das von Paulick zitierte, ihm angeblich anonym zugespielte Gedicht an. Der Held ist ein einsamer, von der Menge verkannter Kämpfer. Typisch Paulick, glaubt man Mirko Schultze, dem Chef der Görlitzer LINKEN. Er wirft dem OB vor, »nicht kommunikationsfähig« zu sein und sehr intransparent zu arbeiten. Zudem wittere er »überall Intrigen«.
Wie ausgeprägt dieses Gefühl sein muss, illustriert ein weiterer Text auf der Internetseite des Oberbürgermeisters, in dem dieser die Berichterstattung der Lokalzeitung mit Methoden der DDR-Staatssicherheit vergleicht. Sein Herausforderer dagegen gilt als leutselig und aufgeschlossen; zudem könne er »leiten, ohne dass die Leute darunter leiden«, formuliert Schultze.
Deiniges Programm sei den Ansätzen der LINKEN in etlichen Punkten nahe, fügt der Stadtchef der Genossen hinzu, die sich deshalb auch eine Beteiligung am Wahlbündnis hätten vorstellen können - inklusive finanzieller Hilfe. Das habe die CDU abgelehnt, bedauert Schultze, der 2005 im ersten Wahlgang noch selbst angetreten war.
Die Warnung des Dichters
Diesmal verzichtete die LINKE auf eine eigene Bewerbung. Deinige, der »keine Berührungsängste« zeige, sich aber auch von keiner Seite vereinnahmen lasse, sei »tragbar«. Angesichts dieser Konstellation und der Wechselstimmung in der Stadt wäre alles andere als ein Sieg Deiniges eine Überraschung. Der Autor von Paulicks Poem scheint das zu ahnen: Vor der Gemeinde stehe bald »der neuste ihrer Kandidaten«, heißt es in dem Text. Der hält freilich auch eine Warnung parat: »Auch diesen werden sie verraten.«
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