Sorge um Timoschenko

Bundespräsident Gauck reist nicht in die Ukraine

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 2 Min.
Bundespräsident Joachim Gauck wird nicht am Treffen mitteleuropäischer Staatsoberhäupter teilnehmen, das Mitte Mai im ukrainischen Jalta geplant ist. Als Grund gilt der Umgang der ukrainischen Behörden mit der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko.

Julia Timoschenko, Ikone der »Orangenrevolution« des Jahres 2004, Regierungschefin der Ukraine 2005 und 2007 bis 2010, war im vergangenen Oktober zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Beim Abschluss von Gasverträgen mit Russland im Jahr 2009 habe sie ihre Befugnisse überschritten und der Ukraine einen Schaden in Höhe von 200 Millionen Dollar zugefügt, urteilte das Gericht. Timoschenko und ihre Anhänger im In- und Ausland beschuldigten indes Präsident Viktor Janukowitsch, sich seiner Kontrahentin mit Hilfe der Justiz entledigen zu wollen.

Ihre Strafe verbüßt die 51-Jährige derzeit in einem Gefängnis in Charkow. Seit einem halben Jahr klagt sie über starke Rückenschmerzen. Als Ursache wird mal ein Bandscheibenvorfall, mal ein Wirbelbruch angegeben. Zweimal wurde sie auch von ausländischen Ärzten untersucht, darunter der Chef der Berliner Charité, Prof. Karl Max Einhäupl, und der Orthopäde Prof. Norbert Haas. Beide hatten unter anderem begutachten sollen, ob das Eisenbahnerkrankenhaus in Charkow für eine Behandlung der Leiden Timoschenkos geeignet ist. Die Mediziner sahen zwar »keinen Grund, an der ärztlich ethischen Verfasstheit« ihrer ukrainischen Kollegen zu zweifeln, zitierte die Nachrichtenagentur dpa aus dem Gutachten, doch sei das aus »Erfahrungen entstandene Misstrauen« Timoschenkos »ein nahezu unüberwindbares Hindernis für ein vertrauensvolles Arzt-Patient-Verhältnis«.

Tatsächlich verweigerte Julia Timoschenko eine Behandlung, als sie am vergangenen Freitagabend in das Krankenhaus eingeliefert wurde. Nach eigenen Angaben war sie vor der Verlegung misshandelt worden. Drei Männer hätten sie mit grober Gewalt aus dem Bett gezerrt. »In meiner Angst und Verzweiflung habe ich mich verteidigt, so gut ich konnte«, schrieb sie in einer Erklärung, die ihr Anwalt Sergej Wlassenko später verlas. Dabei habe sie »einen schweren Schlag in den Magen« erhalten. Wlassenko berichtete am Montag von Blutergüssen an Armen und Bauch seiner Mandantin, die überdies in den Hungerstreik getreten sei. Die Gefängnisleitung bestreitet die Schläge kategorisch. Am Donnerstag ließ sie verlauten, die Gefangene habe sich geweigert, Gerichtsmedizinern ihre Hämatome zu zeigen. Präsident Janukowitsch ordnete Ermittlungen in der Sache an.

Während in der Ukraine ein wahrer Informationskrieg um die Lage Timoschenkos entbrannt ist, äußerten Bundesregierung, EU und Europarat ernste Besorgnis. Auch das russische Außenministerium rief Kiew zu »humanem Umgang« mit Timoschenko auf.

Das Bundespräsidialamt wollte unterdessen nicht von einer Absage der Gauck-Reise nach Jalta sprechen: Der Besuch sei noch gar nicht zugesagt gewesen.

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