Überzeugungstäter und Literat
Nicaragua: Der Sandinist und ehemalige Guerillero Tomás Borge ist tot
»Die Umsetzung des Marxismus in den Ländern Osteuropas war voll von Fehlern. (...) Im Ergebnis herrschte in diesen Ländern, in manchen mehr, in anderen weniger, eine Sterilität, die Vorstellungskraft, Fantasie und Kreativität zerstörte.« Das sagte Tomás Borge, in den achtziger Jahren Innenminister Nicaraguas und zuletzt Botschafter der sandinistischen Regierung in Peru, vor etwa 19 Jahren im »nd«-Interview. Spricht so ein Dogmatiker und Betonkommunist, als der Borge in den bürgerlichen Medien gern dargestellt wurde? Wohl kaum.
Borge war ein Überzeugungstäter, ein Revolutionär, der von den Schergen eines Verbrecherregimes ins Gefängnis gesteckt wurde. Er hat die beißende Ungerechtigkeit Nicaraguas am eigenen Leib gespürt - und wollte sich mit ihr nicht abfinden. Deshalb gründete der 1930 in der nordnicaraguanischen Stadt Matagalpa geborene Borge zusammen mit Carlos Fonseca 1961 die Sandinistische Befreiungsfront FSLN. Sie kämpfte gegen die Diktatur der Familie Somoza, die das Land der Seen und Vulkane wie ihren Privatbesitz behandelte, die politische Opposition gnadenlos unterdrückte und dafür großzügige Unterstützung von der US-Administration erhielt. 1979 siegte die FSLN über den Somoza-Clan. Eine Schmach für die USA einerseits, ein Triumph der antiimperialistischen Linken andererseits.
Für die Somozas war Nicaragua ein unterentwickeltes, primitives Land. Die eigene Kultur wurde eklatant vernachlässigt, als das Maß aller Dinge galt der Kulturimport aus den Vereinigten Staaten. Das änderte sich mit der Machtübernahme der FSLN. Eines der ersten Regierungsprojekte war der Bau einer Nationalbibliothek. Wie andere sandinistische Politiker griff auch Borge selbst zum Stift. Er schrieb Bücher und brachte es zumindest in Lateinamerika zum geachteten Literaten. Als Einflüsse für sein schriftstellerisches Schaffen gab er neben Karl May und Victor Hugo Gabriel García Márquez und Jorge Amado an.
Borge galt als enger Vertrauter von Daniel Ortega, der seit rund fünf Jahren Nicaragua regiert. Bereits von 1985 bis 1990 war Ortega Staatspräsident. Wo Daniel ist, ist auch Tomás nicht weit, hieß es auf den Straßen der Hauptstadt Managua. Wie es mit diesem von Armut und Elend getriebenen Land weitergeht, wird Tomás Borge nicht mehr miterleben. Er verstarb am Montag im Alter von 81 Jahren an einem Lungenleiden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.